Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
zum Flug ausgebreitet. Hinter dem sich windenden Leib waren der Hafen und das befestigte Rhíminee zu erkennen.
»Das muß der Drache Illiors sein«, bemerkte er und lehnte sich über das Geländer, um einen besseren Überblick zu haben.
»Das ist er.«
Wethis blieb vor der letzten Tür am Ende der Galerie stehen und ließ Alec den Vortritt.
Eine Frau öffnete die Tür.
Ihr Lächeln mochte wohl so manchem Mann den Verstand rauben. Es war jedoch wie fortgewischt, als sie die beiden Jungen erblickte. Plötzlich hätte Alec kein Wort mehr sagen können, auch wenn es ihn das Leben gekostet hätte.
Ylinestra war atemberaubend schön. Rabenschwarzes, volles Haar umrahmte ein zartes und zugleich sinnliches Gesicht. Die Augen glichen dem samtenen Purpur der Sommeriris. Ihr weiches, loses Gewand aus bestickter Seide war so fein gewirkt, daß es ihre sinnlichen Rundungen mehr enthüllte als verbarg.
Alec, der nie zuvor eine so verführerisch bekleidete Frau gesehen hatte, war wie erstarrt, zu schockiert, um zu denken. Wethis stand in respektvollem Schweigen ein wenig abseits.
»Ja?« sagte Ylinestra fordernd und verschränkte die Arme unter der Brust.
»Ich komme von Nysander«, sagte Alec, als er seine Stimme schließlich wiederfand. Er versuchte verzweifelt, ihr in die Augen zu sehen, aber ihr Blick, der den seinen traf, war zuviel für ihn. Wohl wissend, daß er verloren war, wenn sein Blick tiefer wanderte als bis zu ihren Schultern, ließ Alec die Augen auf ihrem Kinn ruhen und sprudelte seine Nachricht heraus. »Er – er sagte, er werde sich verspäten.«
»Sagte er auch, wann er kommen würde?« forderte sie zu wissen, und ihre Stimme klang unheilverkündend.
»Nein«, erwiderte Alec und widerstand dem Drang, einen Schritt zurückzuweichen.
»Danke«, zischte sie und schlug die Tür zu. Einiges Klirren und Krachen war hinter der verschlossenen Tür zu hören, als Alec und Wethis sich hastig zurückzogen.
»Wenn ich gewußt hätte, was du da auszurichten hattest, hätte ich dich vor ihrem Temperament gewarnt«, entschuldigte sich Wethis. »Sie ist Nysanders Geliebte und hat ihn gewiß selbst erwartet.«
»Geliebte!«
»Seine jüngste Liebe zumindest«, antwortete Wethis voll unverhüllter Bewunderung. »Nysander ist einer der Orëska-Zauberer, die sich nicht nach dem Zölibat richten; nicht im mindesten. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob er ihr gewachsen ist, wenn du weißt, was ich meine.« Er senkte die Stimme und fügte mit einem Zwinkern hinzu: »Aber ich wette, sie ist der Mühe wert!«
Als sie das Atrium erreicht hatten, führte Wethis Alec in eine lange Galerie, an deren Wänden Skulpturen jeder Art standen.
»Das ist lediglich die Vorhalle zu den Bädern«, erklärte Wethis, als er Alecs Erstaunen bemerkte. »Die wirklich außergewöhnlichen Dinge findest du im Museum auf der anderen Seite. Lord Seregil könnte dir dort einiges erklären, er kennt es besser als mancher der Magier.«
Feuchte, warme Luft empfing sie, als Wethis eine große Tür öffnete und ihn in ein riesiges Gewölbe führte. Alec, der eisige Bergbäche gewöhnt war, konnte die Opulenz vor sich gar nicht fassen.
In der Mitte des großen Raumes befand sich ein achteckiges Becken, umrahmt von roten und goldenen Kacheln. Marmorne Greifen mit vergoldeten Schwingen spien an vier gegenüberliegenden Ecken Wasser in hohem Bogen in das Becken. Die Wände gaben den Klang des plätschernden Wassers echogleich wieder.
Fresken verzierten die Wände, sie zeigten Nymphen und Unterwasserszenen. Davor waren in den Boden kleine Becken eingelassen, in denen jeweils ein Badegast Platz fand. Einige von ihnen wurden bereits benutzt. Alec konnte die Wärme des beheizten Bodens durch die Sohlen seiner Stiefel fühlen.
Eine geschnitzte Bank, Kleiderständer und der größte Spiegel, den Alec je gesehen hatte, waren um das Becken angeordnet, das für ihn zubereitet wurde. Daneben stand ein Diener mit einem Korb, und ein weiterer näherte sich mit einem Tablett, auf dem er Essen brachte. Das parfümierte Wasser im Becken sah verlockend aus, aber Alec fühlte sich nicht wohl dabei, sich vor so vielen Leuten zu entkleiden. Wethis bemerkte sein Zögern und wandte sich ab, während Alec hastig ins Wasser glitt.
»Es sieht aus, als wolle Nysander, daß du etwas zu dir nimmst«, bemerkte Wethis und rückte ihm das Tablett zurecht.
Trotz seiner festen Absicht, sich zu beeilen, erinnerten die Aromen, die den Schalen entströmten, Alec daran, daß
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