Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
in die Silbermondstraße und sah rechterhand die Mauer aufragen, die den Palast umgab. Wie er gehofft hatte, glomm vor einem der Nebentore ein Wachfeuer. Mit brennenden Lungen stürzte er darauf zu.
Eine Gruppe Soldaten der Leibwache der Königin hockte rings um das Kohlenfeuer. Als sie Alec herannahen hörten, traten vier von ihnen mit gezückten Schwertern vor.
»Hilfe!« keuchte Alec und betete, sie mögen ihn nicht angreifen, als er mitten in sie hineinlief. »Straßenräuber – verfolgen mich – da hinten!«
Zwei Männer packten ihn an den Armen; halb hielten sie ihn fest, halb stützen sie ihn, als er wackelig zum Stehen kam.
»Ruhig, Kumpel, ganz ruhig«, sagte einer.
»Ich sehe niemanden«, brummte ein anderer und spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Richtung, aus der Alec gekommen war.
Als Alec zurückschaute, sah auch er kein Zeichen seiner geheimnisvollen Verfolger mehr.
Mißtrauisch ließ die erste Wache den Blick über seinen feinen Mantel und das Schwert wandern. »Straßenräuber, wie? Um diese Stunde wohl eher ein wutentbrannter Vater oder Ehemann. Wohl ’n wenig Unruhe gestiftet, was?«
»Nein, wirklich nicht«, schnaufte Alec. »Ich war gerade auf dem Heimweg von der – von der Lichterstraße.« Die anderen Soldaten grinsten wissend.
»Genau die richtige Gegend, um auf die eine oder andere Weise sein Geld loszuwerden, nich’?« meinte der Wachtmeister kichernd. »Tja, für gewöhnlich sind um diese Zeit keine Nachtschattengewächse mehr unterwegs, aber vielleicht lungern sie irgendwo herum und wollen dir auflauern. Wohnst du in der Nähe?«
»Nein, am anderen Ende der Stadt.«
»Dann bist du herzlich eingeladen, dich zu uns ums Feuer zu gesellen, bis es hell wird.«
Dankbar nahm Alec einen ihm angebotenen Umhang an und trank einen Schluck aus einem Wasserbeutel, dann setzte er sich mit dem Rücken zur Mauer hin und ließ sich von dem Kohlenfeuer Gesicht und Brust wärmen. Alles in allem, dachte er, als er allmählich in den Schlaf hinüberglitt, gab es schlechtere Möglichkeiten, einen arbeitsreichen Abend ausklingen zu lassen.
4
Kristallhörner
Retaks Töchter verabschiedeten sich aufs herzlichste von Seregil, als er und ihr Vater früh am nächsten Morgen aufbrachen, um Timan am Rathaus zu treffen. Zu Seregils Bestürzung hatte sich dort bereits eine Menschenmenge versammelt, und so mancher hatte Schneeschuhe und Stock dabei.
Timan stellte ihm einen jungen Mann vor. »Ich bin inzwischen zu alt, um den Weg anzutreten, aber mein Enkel Turik kennt den Ort. Er kann dich führen. Die anderen tragen deine Sachen und deine Gaben für den Geist.«
Innerlich stöhnte Seregil auf. Das letzte, was er brauchen konnte, war eine Zuhörerschaft, doch er war seinem Ziel zu nahe, um das Wagnis einzugehen, die Dorfbewohner zu verstimmen. Unter lautem Jubel und Gesang machten sie sich auf zum Oberlauf des Tales.
Die dravnische Jugend marschierte unbeschwert vor sich hin, tratschte unterwegs und riß Witze. Seregil mühte sich verbissen hinterdrein; die dünne Luft und die wenig erholsame Nacht machten ihm zu schaffen. Einer von Retaks Söhnen gesellte sich grinsend zu ihm.
»Die Gastfreundschaft letzte Nacht hat dir wohl gefallen, wie? Meine Schwestern schienen heute morgen sehr glücklich.«
»O ja«, keuchte Seregil. »Sie haben mich ausgezeichnet gewärmt, danke.«
Kurz nach Mittag erreichten sie den Fuß des Passes. Turik ließ den Troß innehalten, während ein älterer Mann namens Shradin vorging, um den Schnee auszukundschaften.
Turik deutete zum Paß empor. »Der Hort des Geistes befindet sich da oben, aber von hier an ist der Weg gefährlich – wegen Spalten unter dem Schnee und Lawinen. Shradin kann den Schnee besser lesen als jeder andere im Dorf.«
Der Rest der Gruppe hockte sich auf die Schneeschuhe und beobachtete, wie der Führer den Paß erkundete.
»Nun? Was meinst du?« erkundigte Seregil sich, als Shradin zurückkam.
Der Dravnier zuckte mit den Schultern. »Heute ist es nur ein bißchen gefährlich. Trotzdem wäre es besser, wenn von hier an nur ein paar Leute weitermarschieren. Turik kennt den Weg, ich kenne den Schnee. Der Rest sollte lieber wieder nach Hause gehen.«
Nach einer Weile unmutigen Gebrummels kehrten die anderen zum Dorf zurück.
Shradin übernahm die Spitze, als sie vorsichtig begannen, den Paß zu erklimmen, Seregil und Turik folgten ihm im Gänsemarsch. Mit schweigender Bewunderung beobachtete Seregil, wie der Mann den Schnee vor
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