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Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit

Titel: Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Wenngleich sich das Palimpsest verschlungener Systeme bediente, hatte es die erforderlichen Wegbeschreibungen doch ziemlich klar angegeben. Wenn es einen geheimen Weg gab, der über diesen Punkt hinausführte, dann legte der Verstand nahe, daß sich die letzten Hinweise darauf in demselben Dokument verbargen.
    Während er sich die pochenden Schläfen rieb und kurz die Augen schloß, entsann er sich der Einzelheiten der zahlreichen Inschriften des Palimpsests. Hatten er und Nysander in den wirren Prophezeiungen vielleicht etwas übersehen? Oder vielleicht war Nysanders Überzeugung falsch, daß nur eine Seite des Dokumentes ein Palimpsest enthielt.
    Dies empfand Seregil als höchst beunruhigenden Gedanken.
    Ein kalter Luftstoß ließ ihn aus seiner Grübelei hochschrecken.
    Als er die Augen aufschlug, stellte er fest, daß er im Schnee vor dem Tunneleingang lag und Turik und Shradin offensichtlich besorgt über ihm kauerten. Über Shradins Schulter sah er, daß die Sonne bereits weit unterhalb des vereinbarten Gipfels stand.
    »Was ist passiert?« keuchte Seregil und setzte sich auf.
    »Wir haben gewartet, so lange wir konnten«, entschuldigte sich Turik. »Die Zeit, zu der du wiederkehren solltest, kam und verstrich. Wir sind dir nachgegangen und haben dich träumend vorgefunden.«
    »Ein Sturm ist im Anzug«, fügte Shradin hinzu und schaute mit gerunzelter Stirn zu den Wolken empor. »Um diese Jahreszeit brauen sie sich rasch zusammen. Wir müssen ins Dorf zurück, solange es noch hell genug für einen sicheren Abstieg ist. Hier oben gibt es weder einen Unterschlupf noch irgend etwas, um ein Feuer zu machen.«
    Erschrocken blickte sich Seregil plötzlich um. »Mein Schwert! Und die Schatulle – wo sind sie?«
    »Hier, neben dir. Wir haben beides mit heraufgebracht«, beruhigte ihn Turik. »Aber sag, hast du mit dem Geist gesprochen? Kennst du den Grund für seinen Zorn?«
    Nach wie vor verdrossen darüber, dem Zauber dieses Ortes so widerstandslos erlegen zu sein, ruckte Seregil bedächtig, um Zeit zu schinden, bis er die Gedanken gesammelt hatte.
    »Es ist nicht euer Geist, der zürnt, sondern ein anderer, böser Geist«, erklärte er ihnen. »Der böse hält den anderen gefangen. Es ist ein sehr mächtiger Geist. Ich muß mich ausruhen und vorbereiten, um ihn zu verbannen.«
    Shradin blickte abermals zum Himmel empor. »Ich glaube, dafür wirst du reichlich Zeit haben.«
    Die beiden dravnischen Führer ergriffen ihre Rucksäcke und Stöcke und führten Seregil zurück ins Dorf, wo ihn eine weitere Nacht erschöpfender Gastfreundschaft erwartete.
     
    Wie Shradin vorhergesagt hatte, pfiff während der Nacht ein wüster Schneesturm durch die Zähne des Berges. Die Menschen kämpften sich durch den heulenden Wind, um ihr Vieh die Rampen hinauf in die Türme zu treiben, verschlossen die Türen und lehnten sich zurück, um zu warten, bis das Schneegestöber vorüber war.
    Zwei Tage lang tobte der Sturm ohne Unterlaß. Einem Haus riß er das Filzdach fort, wodurch die Bewohner gezwungen waren, in einem Nachbarturm Zuflucht zu suchen. In einem anderen Turm gebar eine Frau Zwillinge. Ansonsten verstrich die Zeit bei Essen, Geschichtenerzählen und Hausarbeit. Die Dravnier zeigten sich gelassen angesichts derartiger Bedingungen; was hatte es für einen Sinn, sich über etwas zu beklagen, das sich jeden Winter wiederholte? Die Schneestürme hatten sogar etwas Gutes. Sie häuften Schnee rings um die Häuser auf, so daß es drinnen nicht zog.
    Insbesondere eine Familie betrachtete den Sturm als Glücksfall, denn er zwang den Aurënfaie, zwei Nächte als Gast bei ihnen zu weilen.
    Seregil war weniger erfreut über die Lage. Ekrid hatte neun Kinder, sechs davon Töchter. Ein Mädchen war zu jung, eines hatte gerade seine Tage, trotzdem blieben noch vier, mit denen er sich herumschlagen mußte, und der wetteifernde Glanz in ihren Augen, wenn sie ihn in Empfang nahmen, gefiel ihm ganz und gar nicht.
    Erschwerend kam hinzu, daß im Untergeschoß Ekrids Ziegen- und Schafherde untergebracht war, deren Geblöke und Gestank wenig zur Verbesserung der Umstände beitrug. Zwei Tage lang hatte Seregil ständig zu entscheiden, ob er es vorzog, sich des Liebesdrängens der Mädchen zu erwehren oder zu versuchen, ein paar Schritte zu tun, ohne in Scheiße zu treten. In beiderlei Hinsicht mußte er sich mit mäßigem Erfolg bescheiden, worunter seine Konzentration auf das eigentliche Problem gehörig litt.
    Während Seregil in der zweiten

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