Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
sein.«
»Klingt, als käme sie ganz gut zurecht.«
»Etwas anderes hätte ich auch nicht von ihr erwartet. Beka ist im Umgang mit Menschen ebenso begabt wie im Umgang mit Pferden oder dem Schwert. Ich wette eine Mark mit dir, daß sie eine Hauptmannskrause trägt, wenn wir sie das nächste Mal sehen.«
Falls wir sie wiedersehen, blitzte in seinem Hinterkopf auf, als er dies aussprach, doch er verdrängte die Zweifel. Er vermeinte, auch über Alecs Gesicht denselben Gedanken, dasselbe rasche Verdrängen huschen zu sehen.
»Womit fangen wir heute an?« fragte Alec und wischte sich eine zerzauste Haarsträhne aus den Augen.
Seregil trat an den Kamin und schürte die Reste des Feuers der letzten Nacht. »Zunächst will ich diesen Meister Quarin ausfindig machen. Leider wissen wir nicht, was für ein Schmied er ist. Goldschmied, Silberschmied, Schwertschmied, Hufschmied …«
Nachdenklich kauend, beobachtete Alec seinen Freund. Nach einer Weile meinte er: »Wie wär’s mit einem Eisenschmied?«
Seregil schaute auf den Schürhaken in seiner Hand, dann stellte er fest, daß auch Alec den Schürhaken betrachtete.
»Du hast doch gesagt, Lord Zymanis sei verantwortlich für die Befestigungsanlagen der Unterstadt, also braucht er eher einen Eisenschmied als einen Goldschmied, richtig? Und Eirual hat dir erzählt, er hätte rauhe Hände gehabt.«
»Du hast heute morgen einen klareren Kopf als ich«, gestand Seregil, verdrossen darüber, nicht selbst darauf gekommen zu sein.
»Wahrscheinlich habe ich auch mehr Schlaf abbekommen.«
Überrascht musterte Seregil den Jungen, denn er glaubte, einen Hauch Mißbilligung in seinem Tonfall gehört zu haben. Dabei hatte er angenommen, Alec wäre nach seiner erfüllten Nacht mit Myrhichia endgültig von jener unangebrachten Schamhaftigkeit geheilt. Offenbar hatte sich an seiner dalnischen Einstellung gegenüber Orten wie Azarins Haus wenig geändert. Tja, das ist nun wirklich Pech für ihn.
»Eisenschmiede gibt es überall in der Stadt, aber sie gehören alle derselben Gilde an«, sagte er und ließ einen Augenblick verstreichen. »Ich lasse Thryis eine der Küchenmägde rüberschicken, um sich nach Quarin zu erkundigen. In der Zwischenzeit ruhe ich mich ein wenig aus.«
Gegen Mittag wußten sie bereits, daß sich Meister Quarins Laden in der Eisenwarenhändlerzeile nahe des Ufermarkttores befand. Kurz darauf machten sie sich als zerlumpte Krüppel verkleidet auf den Weg.
Alecs Gesicht lag halb unter einem schmutzigen Verband verborgen.
Seregil trug eine alte Ruine von einem Hut, den er mit einem Kopftuch festgebunden hatte, so daß die Krempe an beiden Seiten bis ans Kinn hinabreichte. Die Verkleidung zeigte die gewünschte Wirkung. Als sie den Hinterhof überquerten, erblickte Rhiri sie und schwenkte drohend einen Rechen in ihre Richtung.
»Ah, diese allgegenwärtigen Bettler«, kicherte Seregil, nachdem sie durch das Tor gehuscht waren. »Niemand ist je überrascht oder erfreut, sie irgendwo in der Stadt zu sehen.«
Mit Betteltassen in den Händen brachen sie zur Korngarbenstraße auf, jener breiten Prachtstraße, die sich quer durch die ganze Stadt zwischen dem Ernte- und dem Ufermarkttor erstreckte.
Wie erwartet, erregten sie kaum Aufmerksamkeit, während sie durch die betriebsamen Straßen trippelten. Endlose Fuhrwerk- und Karrenreihen rollten an ihnen vorüber. Kesselflicker und Messerschleifer boten in marktschreierischer Manier ihre Dienste feil. Schmutzige Kinder wirbelten auf der Jagd nach Hunden, Schweinen oder einander durch die Menschenmassen. Überall waren Soldaten und übelriechende, echte Bettler sowie ein paar früh erwachte Dirnen, die Passanten behelligten.
Bei einer günstigen Gelegenheit, ergaunerten sich Seregil und Alec eine Fahrt auf einem Heuwagen, indem sie sich an die Heckpfosten klammerten, während das Gespann über das Kopfsteinpflaster dahinholperte.
»Schau mal da«, sagte Seregil und deutete nach hinten.
Alec folgte seinem Blick und zuckte innerlich zusammen. Einen halben Häuserblock hinter ihnen wackelten fünf Köpfe auf Lanzen, die senkrecht aus einem klobigen Holzkarren aufragten, den ein finster blickender Trupp der Stadtwache umgab. Alec hatte solche Zurschaustellungen schon früher gesehen; dieses Schicksal blühte in Rhíminee Verrätern und Spionen. Die enthaupteten Körper lagen gewiß unten im Karren und waren unterwegs zur Stadtgrube.
»Der Schöpfer sei gnädig, das wird ja allmählich ein alltäglicher Anblick«,
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