Schattengold
Gern. Ich wollte schon immer mit einer Frau tanzen.«
»Dann lass uns nach Hause gehen, frisch machen und uns schick anziehen. Das mit dem Aufräumen können wir auf später verschieben.«
Schweigend und vor sich hin träumend machten sie sich auf den Weg zum Ferienhaus. Ria hakte sich bei der anderen ein. Sie fühlte sich so glücklich wie selten in ihrem Leben. Tief atmete sie die frische Ostseeluft ein.
Travemünde fängt an, mir zu gefallen, ging es ihr durch den Kopf. Vielleicht sollte ich mir Judiths Angebot ernsthaft überlegen.
Das Haus war geräumig und geschmackvoll eingerichtet. Die Sonne flutete durch alle Räume. Über den zwei Etagen, die als Ferienappartements dienten, befand sich eine vollständig eingerichtete Schrägdachwohnung mit großflächigen Gauben. Der Blick auf die See war einzigartig. Frau Svavarson konnte sie aber nur selten vermieten, weil sie im Sommer durch die pralle Sonne zu stark aufgeheizt wurde.
Ria war begeistert. Sie hatte sich an Dachschrägen gewöhnt, und ihr gefiel vor allem auch deren helle Holzlattenverkleidung. Die Wohnung hatte für sie etwas Anheimelndes, aber dennoch Offenes. Die Intimität der Wohnung verband sich wohltuend mit der Weite der Landschaft. Das war etwas ganz anderes, als ihre karge Bude im Hause der Ampoinimeras, wo sie nicht einmal in den Garten blicken konnte.
Und dann entdeckte sie das komfortable Bad. »Wow! Eine Dusche! So etwas gibt es in meiner jetzigen Wohnung nicht. Ich muss mich mit einer viel zu engen Badewanne herumschlagen. Am liebsten würde ich jetzt erst einmal ausgiebig duschen. – Darf ich das?«
»Aber sicher«, antwortete Judith. »Fühl dich wie zu Hause!«
Kaum hatte sie das ausgesprochen, zog sich Ria ihre Bekleidung aus und lief nackt ins Bad. Judith ordnete lächelnd die achtlos auf den Boden geworfenen Sachen. Dann packte sie das neue Kleid aus und hängte es auf einen Bügel. Sie war stolz auf ihre neue Freundin.
Darin wird sie toll aussehen. Ich werde mich beim Tanzen gegen die Männer durchsetzen müssen, überlegte sie. Dann holte sie den Flakon mit dem neuen Parfum hervor und öffnete behutsam den Verschluss.
Aus der Dusche erklang ein glücklicher, lockender Gesang. Judith hielt in ihrer Tätigkeit versonnen inne. Ein warmes Gefühl durchströmte sie, so, als hätte sie zum ersten Mal seit langer, langer Zeit wieder zu sich selbst gefunden. Als wäre das Ende einer rastlosen Flugzeit gekommen.
Sie tupfte sich einen Dufttropfen hinter das Ohr, entledigte sich kurz entschlossen ihrer Kleidung und stieg, ohne ein Wort zu verlieren, zu Ria unter die Dusche.
Kapitel 21: Der Zeitläufer
Der Meister schaltete den Computerbildschirm an. Er sah gestochen scharf das Abbild seiner Bibliothek.
»Gut, die Videokamera läuft ausgezeichnet.«
Dann legte er einen kleinen Schalthebel um. Im Raum entstand eine Rückkopplung, die durch ein paar Korrekturgriffe schnell behoben war.
»Die Ohren funktionieren auch.«
Ein weiterer Knopfdruck und er hörte ein klares: »Guten Tag. Schönes Wetter heute, nicht wahr?«
Mithilfe einer Gangschaltung, die wie ein Joystick aussah, testete er die Bewegungen. Der Zeitläufer machte ein paar Schritte vorwärts und wieder zurück.
»Mechanisch stimmt auch alles.«
Ein leichter Druck auf den Oberarm brachte den Zeiger eines Kontrollinstruments zum Ausschlag.
»Druckübertragung perfekt.«
Dann startete er den Testausdruck. Im Inneren des Körpers surrte es leise. Aus einem kleinen Seitentäschchen kam ein sauber bedrucktes Etikett zum Vorschein.
»Kommunikationsmedium Drucker arbeitet einwandfrei.«
Um den Geruchssensor zu überprüfen, zündete er eine Räucherkerze an. Auf dem Bildschirm erschien die Notiz: »Geruch: Harz.«
»Hm, das ist noch recht grob. Daran werde ich feilen müssen, aber fürs Erste reicht es.«
Er zog der lebensgroßen Roboterpuppe ein schlichtes Mönchsgewand an, das durch eine grobe Kordel zusammengehalten wurde und bis über die eng anliegenden Hosenstrümpfe reichte. Den Kopf bedeckte eine Gugel, eine Art Kapuze mit ausgeschnittenem Kragen, die bis über die Schulter reichte. Dabei achtete der Meister darauf, dass die Kunsthaarperücke aus Kanekalon nicht verrutschte.
An den Füßen trug sie Trippen, derbe Holzpantoffeln mit hohem Profil, in die man mit seinen Schuhen hineinschlüpfen konnte, um nicht im Straßenschlamm stecken zu bleiben.
»Das entspricht der damaligen Kleiderverordnung, die gegen Ende des 15. Jahrhunderts vom Stadtrat
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