Schattenhaus
ging am nächsten Morgen als Erstes zu Fock. Der Chef sah frisch, fröhlich und aufgeräumt aus über seiner roten Fliege. In einer Vase am Rand seines hölzernen, jungfräulichen Schreibtisches prangte ein ganzer Strauß von Lilien. Gab es irgendeinen Anlass für Blumen, den Winter nicht mitbekommen hatte?
«Was gibt’s, Winter?»
«Bevor wir ins Briefing gehen, wollte ich das ein oder andere mit Ihnen besprechen, Chef. Es gibt Neuigkeiten.»
«Na, dann immer reinspaziert. Ich bin gespannt.»
Da hatte Winter wohl tatsächlich einen der raren Momente Fock’scher guter Laune erwischt. Das war auch nötig. Möglichst pädagogisch berichtete Winter, was er gestern mit der Staatsanwaltschaft verabredet hatte und was absolut nicht in Focks Sinne sein konnte.
Für Winter war das Treffen mit den Staatsanwälten günstig verlaufen. Frau Göttlich, die neue, junge Anklägerin, die die Gewalttaten in der Grafton’schen Villa betreute, trug feines langes Haar, zu einer weichen, romantischen Frisur hochgesteckt, und war genauso schlaftablettig, wie Winter sie am Telefon kennengelernt hatte. Doch es ließ sich mit ihr arbeiten. Sie hatte keine eigene Meinung vertreten und allen seinen Vorschlägen mit einem müden, langgezogenen «Jaaaa, können wir machen» zugestimmt. Staatsanwalt Nötzel, der den Fall Vogel betreute, war noch immer der Ansicht, dass Wladimir Preiß das Ehepaar Vogel erschossen hatte. Preiß hatte einen Motorradführerschein, Erfahrung mit Waffen und Einbrüchen, und das zunächst gemachte Geständnis sprach ebenfalls gegen ihn. Der Prozess gegen Preiß begann übermorgen. Nötzel sah keinen Anlass, ihn zu verschieben. Seit der neuen Entwicklung betreffs der Waffe glaubte aber auch Nötzel, der Mord an Verena Tamm hänge mit dem an Sabrina Vogel zusammen. Nötzel hatte Wladimir Preiß von Anfang an für einen Auftragstäter gehalten. Nun war seine Vermutung, dass die Auftraggeber von Preiß auch die Besitzer der Tatwaffe waren und ihm diese für die Tat nur geliehen hatten. Die zweite Tat hätte dann ein anderer geheuerter Killer – oder aber die Hinterleute selbst – mit derselben Waffe ausgeführt.
Am Ende hatte Winter das Plazet beider Staatsanwälte, die Ermittlungen im Fall Vogel in ganzer Breite wiederaufzunehmen. Das schloss nun auch Ermittlungen gegen «Sumathi» ein, den angeblichen Außerirdischen, der in dem Esoterikforum eine «Sabrina 81 » zum Selbstmord zu überreden versucht hatte, um ihre Lebensversicherung zu kassieren. Gegen den Unbekannten hatte die Anwältin Manteufel schon vor Wochen eine Anzeige eingereicht. Weil sie dabei auf eine mögliche Verbindung zum Fall Vogel hingewiesen hatte, war die Sache an Nötzel gegangen. Der Staatsanwalt hatte die Sache ernst genommen. Doch seine Ermittlungen hatten vorläufig ins Leere geführt. «Sumathi» war Frankfurter, so viel ließ sich über die Internetverbindung herausbekommen, aber er hatte sich stets von einem Internetcafé in der Münchener Straße eingeloggt, einem betriebigen, schlecht beaufsichtigten Ort nahe des Frankfurter Hauptbahnhofs.
Jetzt teilte Winter den Staatsanwälten mit, dass er für die Rolle des Sumathi zwei konkrete Verdächtige aus Sabrina Vogels Vergangenheit im Auge habe: Hanno Krombach und Hendrik von Sarnau. Die romantisch frisierte Frau Göttlich nahm das desinteressiert auf, aber Nötzel war auf Trab gebracht. Der Staatsanwalt sah plötzlich in dem vernachlässigten Sumathi-Aspekt die Lösung beider Fälle. Sumathi habe erst den Wladimir Preiß die Sabrina Vogel töten lassen, um so an die Lebensversicherung zu kommen. Bestimmt habe «Sumathi» auch Verena Tamm zu einer Lebensversicherung zu seinen Gunsten überredet. Und möglicherweise sogar auch Birthe Feldkamp, deren niemals richtig untersuchten Todesfall Winter an dieser Stelle ins Spiel brachte. «Ein Giftunfall mit einem selbstgemachten Pilzgericht», murmelte Nötzel, «das ist doch genau die Art von Tod, die dieser Sumathi braucht, damit eine Lebensversicherung keinen Verdacht schöpft und zahlt.»
All das referierte Winter jetzt seinem Chef. Er rechnete mit heftigem Protest, da Fock den Sumathi-Aspekt im Januar wutschnaubend abgetan und neue Ermittlungen im Fall Feldkamp vorgestern erst verboten hatte.
Doch Fock tat jetzt so, als höre er von dem mysteriösen Sumathi zu ersten Mal. Wahrscheinlich konnte er sich tatsächlich nicht erinnern, da er damals die Sache als Hirngespinst deklariert hatte, ohne Winter überhaupt zuzuhören. Durch Winters
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