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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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Feldkamp an – leider nur, um vom Anrufbeantworter mitgeteilt zu bekommen, man sei auf einer sechswöchigen Nepal- und Tibetreise und nicht zu erreichen. Um irgendeinen Ansatz im Fall Feldkamp zu bekommen, warf Winter einen Blick in die mageren Unterlagen zum Vergiftungsfall. In dem Bericht von Kettler stand, dass Birthe Feldkamp selbstgesammelte Pilze verzehrt hatte. Daher könne man Fremdverschulden ausschließen. Das hörte sich eigentlich plausibel an. Doch warum hatten die Ärzte Anzeige erstattet, wenn die Lage so eindeutig war?
    Winter gab den Namen Feldkamp ins System ein. Er stellte fest, dass zwei Tage vor der Anzeige des Falles durch die Uniklinik ein Notruf von Frau Feldkamps Adresse eingegangen war. Da es sich um einen medizinischen Notruf handelte, war ein Rettungswagen losgeschickt worden.
    Doch der Anrufer war nicht Frau Feldkamp selbst gewesen, sondern ein Mann. Der Beamte, der den Anruf entgegennahm, hatte wie üblich den Namen des Anrufenden erfragt und «Herr Olsberg» notiert.
    Birthe Feldkamp war am Tag der Vergiftung nicht allein zu Haus gewesen.
    Winter spürte eine düstere Ahnung. Der Name Olsberg kam ihm ungut bekannt vor.
    Er warf einen Blick in POLAS , das Polizeiauskunftssystem. Es gab nur fünf aktenkundige Personen namens Olsberg. Winter scrollte sich durch die Liste. Ein Name war der, den er suchte. Matthias Olsberg, geboren 1987 , aufgewachsen in Frankfurt-Niedereschbach. Zum ersten Mal aufgefallen mit vierzehn Jahren wegen Rauschmittelbesitzes. Danach hatte er sich ein Strafregister vom Feinsten erarbeitet: Überfälle, Erpressung, Handtaschenraub, Autodiebstahl, Fahren ohne Führerschein. Nur die Körperverletzung fehlte. Dann 2005 der jähe Höhepunkt und zugleich das vorläufige Ende der jungen Verbrecherkarriere.
    Winter konnte sich gut daran erinnern.
    Es war ein Winternachmittag gewesen. Der Anruf, den sie erhalten hatten, war in mangelhaftem Deutsch, inkohärent, aber eindeutig: Eine Frau rief an, um mitzuteilen, dass sie ihren Sohn tot in seinem Blut liegend aufgefunden habe. Das Opfer war ein achtzehnjähriger Deutsch-Marokkaner, ein krimineller Kumpan Matthias Olsbergs, mit dem dieser schon mehrfach vorm Jugendrichter gestanden hatte. Im Tod wirkte das wächsern blasse, schmale Gesicht des Jungen wie eine Ikone des gekreuzigten Jesus. Der Tatort war die Hochhauswohnung der Eltern, wo der junge Marokkaner bis zuletzt gewohnt hatte. Als die Polizisten eintrafen, war die Mutter nicht ansprechbar, heulte und jammerte in immer wieder aufwallendem Singsang. Den Weg wies ihnen die Blutlache, die unter einer geschlossenen Zimmertür hindurchgesickert war. Die Tür führte ins Kinderzimmer. Das Zimmer hatte das Opfer mit seinem siebenjährigen Bruder geteilt. Außen auf der Tür prangte ein Poster mit der Aufschrift «Bernd das Brot». Der Tote lag auf einem der beiden Betten. In zwei Teilen. Neben seinem abgetrennten Kopf lag ein Kuscheltier, ein ehemals grauer Elefant, der sich dunkelrot gefärbt hatte. Das Blut war in einem dicken Strahl an die Wand gespritzt und hatte dort ein fontänenartiges Muster hinterlassen. Der Teppichboden war vollgesogen und gab bei jedem Schritt quatschende Geräusche. Vor dem Bett lag das große, geriffelte Brotmesser, mit dem die Tat ausgeführt worden war. Der Pathologe stellte später fest, dass der Täter immer wieder nachgesägt hatte, um alle Teile des Halses zu durchtrennen. Beim Zerteilen der Wirbelsäule hatte das Messer dann Schaden genommen. An der nichtbespritzten Wand gegenüber dem Lager des Toten war etwas mit Blut an die Wand geschrieben:
Kurban bayramı.
Das sei Türkisch, erklärte ihnen der Vater des Toten, der, von seiner Frau herbeitelefoniert, bald hinzukam. Er war Arbeiter in einer Brotfabrik, blass vor Schrecken unter der olivfarbenen Haut und schien sich die ganze Zeit entschuldigen zu wollen. Die Verbrecherkarriere seines Sohnes war ihm ebenso peinlich, wie ihn sein schrecklicher Tod erschütterte. Ob er eine Ahnung habe, was die türkischen Worte hießen? Ja, natürlich, sagte der Vater, das wisse doch jeder.
Kurban bayramı
bedeute «Opferfest». Damit sei das Fest während der Wallfahrtswoche nach Mekka gemeint, anlässlich dessen traditionell jede islamische Familie ein Lamm schlachte.
    Als Winter das später im Lexikon nachsah, erfuhr er, dass das islamische Opferfest etwas mit Menschenopfern zu tun hatte. Es wurde zu Ehren der Frömmigkeit Abrahams gefeiert, der bereit gewesen war, seinen eigenen Sohn auf Befehl

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