Schattenjahre (German Edition)
schlimm …“
„Es war völlig richtig, dass Sie sich an mich gewandt haben, Chivers“, beruhigte Ian den alten Mann. „Und wie Sie schon sagten – der arme Edward hat schreckliche Schmerzen, und deshalb muss man nachsichtig mit ihm sein. Ich werde ihm mal ins Gewissen reden. Es gibt jetzt neue Medikamente. Und ich finde, er sollte mal einige Wochen in einem Sanatorium verbringen.“
„Wenn er Madam verliert – das würde ihn umbringen“, meinte Chivers traurig. „Eine wundervolle Frau – eine Heilige …“
Aber auch normal und gesund – und noch keine dreißig, ergänzte Ian in Gedanken, während er die Bibliothekstür öffnete. Und wenn Edward seine Launen, seine Neigung zur Gewaltanwendung nicht in den Griff kriegt, könnte genau das passieren, was er fürchtet – er wird Liz verlieren.
Wie erwartet, protestierte Edward heftig, als Ian bemerkte, man müsse die Situation überdenken, und einen Aufenthalt in einem Sanatorium empfahl. Unruhig bewegte er sich im Rollstuhl, ballte aggressiv die Hände. Der Doktor beobachtete ihn und seufzte. Nein, Chivers hatte gewiss nicht übertrieben – diesem Patienten war es durchaus zuzutrauen, seine Frau tätlich anzugreifen.
Das mochte eine vorhersehbare Entwicklung dieser Ehe gewesen sein, aber Ian betrachtete das keineswegs als Entschuldigung. Liz durfte keiner weiteren Gefahr ausgesetzt werden. Edwards Verhalten bestätigte alles, was Chivers berichtet hatte.
Energisch leugnete Edward, seine Schmerzen und seine Eifersucht würden außer Kontrolle geraten. Schließlich erkannte der Doktor, dass er nichts erreichte, und beschloss, mit Liz zu sprechen.
„Was sollen all diese Fragen?“, stieß Edward hervor. „Liz hat mir dir geredet, nicht wahr? Sie beklagt sich über mich. Diese verdammte Spinnerei – die ist das Einzige, wofür sie sich neuerdings interessiert.“ Plötzlich verebbte seine Aggressivität, und er versank in sentimentalem Selbstmitleid.
„Du irrst dich, Edward, und das weißt du auch. Nein, Liz hat nicht mit mir gesprochen. Ich frage dich aus einem anderen Grund, ob du Probleme mit deinen Schmerzen hast. Es ist eine bekannte medizinische Tatsache, dass ein Medikament, so gut es auch sein mag, mit der Zeit seine Wirkung verliert, weil sich der Körper des Patienten daran gewöhnt. Gerade sind neue Mittel auf den Markt gekommen. Und wie ich bereits erwähnte, ein Aufenthalt in einem Sanatorium …“
„Nein, ich verlasse dieses Haus erst, wenn man mich im Sarg hinausträgt. Es ist doch mein Heim, und ich will hierbleiben.“
„Bedenk doch, Edward“, mahnte der Arzt behutsam. „Du kannst nur hierbleiben, weil Liz dich so fürsorglich pflegt.“ Mitfühlend sah er, wie das Blut in die Wangen des Invaliden stieg. Es war vielleicht unfreundlich, ihn an seine Abhängigkeit zu erinnern, aber dies alles musste einmal zur Sprache kommen. „Denk doch in Ruhe darüber nach“, bat Ian und stand auf.
„Da gibt’s nichts zu überlegen“, entgegnete Edward erbost.
Der Arzt durchquerte gerade die Halle, als Liz das Haus betrat. Sie erschien ihm müde und bleich, aber bei seinem Anblick lächelte sie erfreut. „Ian, wie nett … Ich dachte schon, ich hätte dich verpasst. Wie geht’s Edward?“, erkundigte sie sich voller Sorge. „In letzter Zeit quälen ihn so starke Schmerzen, und ich habe Angst um ihn.“
Damit gab sie ihm das erhoffte Stichwort. „Ich weiß, und ich würde gern mit dir sprechen. Hast du ein bisschen Zeit?“
Hätte sie sich auf diese Unterredung vorbereiten können, wäre sie vorsichtiger gewesen. Doch das erkannte sie erst später. So, wie die Dinge lagen, blieb sie arglos, bis sie im Wohnzimmer saßen.
„Auch ich bin beunruhigt“, begann Ian ohne Umschweife und sah, wie sie den Atem anhielt. Hastig besänftigte er sie. „Nein, nein … In körperlicher Hinsicht geht es ihm besser, als wir’s unter Umständen erwarten durften. Und das hat er nur dir zu verdanken, Liz. Aber seine seelische Verfassung macht mir Sorgen. Die Schmerzen, von den Amputationen verursacht, üben zweifellos eine schädliche Wirkung auf seine Psyche aus. Ich habe ihm bereits vorgeschlagen, ein neues Medikament auszuprobieren. Doch was mich in erster Linie stört, ist sein Benehmen dir gegenüber.“ Sie runzelte die Stirn, und er fügte sanft hinzu: „Du bist eine ganz besondere junge Frau, Liz. Was du hier erreicht und für Edward getan hast – das grenzt an ein Wunder. Aber du bist ein normaler junger Mensch mit normalen, gesunden
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