Schattenjahre (German Edition)
ein pragmatisches Kind mit sonnigem Gemüt, tröstete sie und versicherte, sie würde sich bestimmt nicht einsam fühlen. So als wäre er die Mutter, dachte sie wehmütig.
Edward nahm kein Blatt vor den Mund und protestierte sehr energisch gegen die Wiedereröffnung der Spinnerei. So etwas schickte sich nicht für eine Frau, meinte er. Aber irgendetwas in ihr rebellierte. Sie schuldete ihm so viel, eigentlich alles, und sie hatte es ihm nach besten Kräften vergolten. Nun hatte sie einen netten Sohn, ein gemütliches Heim, und finanziell ging es ihnen besser als vielen anderen Leuten. Der Garten versorgte sie mit frischem Gemüse und Obst, die Hennen legten Eier. Und wenn Liz das Haushaltsgeld vernünftig einteilte, konnten sie von Edwards Pension und dem Pachtgeld für die Felder recht angenehm leben.
Sicher, die Renovierung und die Einrichtung des Hauses gingen nur langsam voran. Aber Liz lernte es, gute Geschäfte zu wittern. Seit der Zufallsbegegnung mit dem alten Eichenschrank auf der Rückfahrt von Southampton sah sie sich oft bei Auktionen und Nachlassverkäufen um. Die neueste Errungenschaft waren hübsche Brokatvorhänge an den Salonfenstern. Die hatte sie praktisch für einen Apfel und ein Ei gekauft. Sie stammten aus einem riesigen Ballsaal und hatten erst für das wesentlich kleinere Zimmer in Haus Cottingdean zurechtgeschnitten werden müssen. Die Wirkung der subtilen Farben und des schönen Stoffs – vermutlich zu Victorias Regierungszeiten gewoben und von unübertrefflicher Qualität – brachte Liz auf die Idee, den Raum neu zu streichen.
Der ursprüngliche Anstrich war zu einer undefinierbaren Farbe verblichen. In der Bibliothek – mittlerweile mit vollen, von Chivers regelmäßig polierten Bücherregalen ausgestattet – hatte sie den Originalplan für die Ausstattung des Salons gefunden. Wie sie daraus entnahm, war der Raum früher in hellem, gelblichem Grün gestrichen gewesen, und sie glaubte, diese Nuance würde wunderbar zu den goldenen Brokatvorhängen passen.
Weiße Abdeckfarbe könne er beschaffen, meinte Chivers, aber bezüglich des gewünschten Gelbgrüns müsse er Liz enttäuschen …
Unermüdlich experimentierte sie mit verschiedenen pflanzlichen Farben und behielt ihren Plan für sich, die dabei gewonnenen Erkenntnisse nicht nur für den Anstrich von Zimmerwänden zuverwerten. Ihr schwebten die subtilen Nuancen der Kleidungsstücke vor, die sie von Lady Jeveson übernommen hatte, die weichen, gedämpften Töne schottischen Tweeds, die ihr viel besser gefielen als die grellen modernen Wollstoffe. Liz hatte eine ganz klare Vorstellung, was sie von ihrer Spinnerei erwartete. Nur das Allerbeste durfte das Cottingdean-Etikett tragen.
Bei einer Versteigerung hatte sie neben amerikanischen Touristen gestanden und deren Gespräch sehr aufschlussreich gefunden. Diese offenbar reichen, wählerischen Leute unternahmen eine Europareise, um Antiquitäten zu kaufen. Gerade hatten sie ihr eine sehr hübsche Kommode vor der Nase weggeschnappt, zu einem Preis, der ihr einen neidvollen Seufzer entlockte. Solche Kunden würden eines Tages die Wollstoffe von Cottingdean kaufen …
Sollten sich die anderen nur über ihre Träume lustig machen! Sie würde es ihnen schon noch zeigen. Weil es ihrem Wesen widersprach, stritt sie mit niemandem, lächelte freundlich und schmiedete insgeheim ihre Pläne. Sie wollte Edward nicht allzu sehr herausfordern, aus Angst, er könnte ihr rundweg verbieten, ihre Absichten zu verwirklichen. Immerhin gehörte die Spinnerei ihm und nicht ihr. Außerdem hatte sie ihn längst lieb gewonnen und tat ihr Bestes, um ihm sein qualvolles Leben zu erleichtern.
Sie wäre erstaunt gewesen, hätte sie gewusst, wie viele Leute sie wegen ihrer Geduld und Ergebenheit bewunderten. Vor allem Ian Holmes. Einmal sagte er zu seiner Frau, das sei kein Leben für eine so junge Person. Natürlich wusste er, dass David nicht Edwards Sohn war. Und nach dem Einzug der Danvers in Haus Cottingdean hatte er erwartet, die Natur würde bald ihr Recht fordern und Liz veranlassen, sich einen Liebhaber zu nehmen. Das hätte er ihr nicht verübelt. Sie war eine sehr anziehende Frau, nicht nur äußerlich.
Letzten Endes war es Ian, der Edward überredete, Liz’ Pläne nicht zu vereiteln. Er erklärte einfach, eine gesunde junge Frau brauche ein Ventil für ihre Energien, ein Ziel.
Edward warf ihm einen misstrauischen Blick zu und strafte ihn zum ersten Mal während der langen Freundschaft mit jenem
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