Schattenjahre (German Edition)
die Augen. „Zum ersten Mal in meinem Leben erkannte ich, warum Sex so wichtig ist – so mächtig. Ich konnte nicht fassen, was mit mir geschah, welch eine wilde Lust in mir aufstieg. Und danach liebte er mich noch einmal. Dabei zeigte er mir, was ich tun musste, um ihm die gleiche Freude zu schenken wie er vorher mir. Und das war für mich genauso schön …“ Wohlig erschauerte sie. „Als ich ging, wussten wir beide, dass wir uns nie wiedersehen würden. Es war, als hätte uns das Schicksal nur für einen kurzen Augenblick zusammengeführt …“ Sie schluckte nervös. „Lach mich nicht aus, und verurteile mich auch nicht. Ich versuche nicht, mein Verhalten zu entschuldigen. Aber beim Abschied kam es mir so vor, als hätte David mich auf diese Weise belohnt, weil ich bereit gewesen war, meiner Mutter zu verzeihen.“
Oder die Natur forderte ihr Recht, nachdem eine schwere Last von Fayes Schultern genommen worden war, die sie viel zu lange gequält hatte, dachte Sage und verschwieg auch diese Überlegung. Warum sollte sie in Zweifel ziehen, woran ihre Schwägerin so fest glaubte? Durch nichts wollte sie Faye die Freude über die maßlose Erleichterung verderben, über die Befreiung von der Gefühlsfessel, die ihr der niederträchtige, hassenswerte Stiefvater vor so vielen Jahren aufgezwungen hatte.
„Du bist nicht schockiert?“, fragte Faye ängstlich.
„Ganz im Gegenteil, ich beneide dich. Du hast dir nicht zufällig die Adresse dieses Wundermannes notiert?“, erkundigte sich Sage boshaft.
Ihre Schwägerin hob die Brauen, dann verstand sie den Scherz und lachte. „Nein – und ich will’s mir auch nicht zur Gewohnheit machen, mit Fremden zu schlafen.“
„Freut mich zu hören“, entgegnete Sage trocken. „Und falls es dich wieder mal nach Sex gelüstet – Mutters aufregender Arzt wäre sicher ein enthusiastischer Partner. Ich glaube, er ist ohnehin schon in dich verliebt. Zumindest war er sehr besorgt um dich, als er hier anrief.“
„Oh, ich traf ihn bei meinem vorletzten Besuch in Fellingham. Er versuchte mich auszufragen und mit mir zu reden, aber ich befand mich in einer grässlichen Stimmung und war sehr unhöflich zu dem armen Mann.“
„Hm … Wenn du’s wiedergutmachen willst, würde er sich zweifellos freuen.“ Sage rechnete mit einem steifen, verlegenen Protest, den die alte Faye gewiss geäußert hätte.
Aber zu ihrer Überraschung und Belustigung fiel der Vorschlag auf fruchtbaren Boden. „Ich finde ihn recht nett.“
„Er ist sogar sehr nett“, bestätigte Sage, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Über solche Dinge sollten wir uns nicht unterhalten, solange Liz …“ Faye unterbrach sich und schüttelte den Kopf. „Ich bin so durcheinander …“
„Kein Wunder. Und was Mutter betrifft – sie wäre die Erste, die dir sagen würde, du sollst deinem Herz folgen und dich nicht an unsinnige Konventionen halten. Sie weiß, wie sehr du sieliebst, welch große Sorgen du dir um sie machst. Wenn wir zwei uns hier ein bisschen amüsieren, bedeutet das keineswegs, dass wir nicht an sie denken und nicht auf ihre Genesung hoffen. Und wenn du dich mit einem Mann einlassen würdest, wäre sie sogar erfreut …“ Sage bemerkte Fayes verblüffte Miene und fuhr leise fort: „Es liegt an den Tagebüchern. Seit dieser Lektüre sehe ich Mutter in völlig neuem Licht. Zum ersten Mal betrachte ich sie als Frau – wenn du verstehst, was ich meine …“ Zögernd suchte sie nach Worten, um ihre Verwirrung angesichts der Erkenntnis zu erklären, dass die vermeintlich so gefühlsarme, zurückhaltende Liz das gerade Gegenteil war. Warum hatte sie die Mutter immer falsch beurteilt? Wegen der schwierigen Beziehung zwischen ihnen? Oder hatte Liz absichtlich einen Eindruck erweckt, der nicht der Wahrheit entsprach? Wenn ja, warum? Warum hatte sie einen Keil zwischen sich und die Tochter geschoben, um von Anfang an eine engere Bindung zu verhindern? „Zum Beispiel hatte ich keine Ahnung, dass Mutter und Lewis McLaren einander schon begegnet waren, bevor ich Scott kennenlernte.“
„Lewis McLaren?“, wiederholte Faye verblüfft. „Scotts Vater?“
Sage nickte. „Davon sagte sie kein Wort, als ich an jenem Wochenende mit Scott hierherkam.“
„Vielleicht hatte sie es vergessen. Sie trifft so viele Leute. Wo haben sie sich gesehen? Bei irgendeinem Dinner?“
„Nein – er war in diesem Haus, vor meiner Geburt. Woolonga – die Ranch, von der Mutters erster Schafbock stammte und wo der
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