Schattenjahre (German Edition)
größer war ihre Überraschung angesichts der Aufmerksamkeit, die er ihr im Ehebett schenkte und die nach der Geburt des ersten und des zweiten Sohnes nicht nachließ.
Sehr schnell erkannte Philip, welche erotischen Qualitäten in der eher hässlichen Frau steckten, die er wegen ihres Wohlstands und ihrer Gebärfreudigkeit geheiratet hatte. So manche Kurtisane hätte sie um diese Talente beneidet. Da er ein humorvoller Mann war, lachte er oft im Schlafzimmer, wenn sie sich entspannt und zufrieden in den Armen hielten. Und wenn seine Gattin fragte, was ihn so amüsiere, erklärte er, Charles habe ihm einen der kostbarsten Schätze des Königreichs übergeben.
Doch Edward dachte nicht an seinen Ahnherrn, während er reglos im Rollstuhl saß und ins Leere starrte, sondern an die künftigen, noch ungeborenen Generationen. Eines Tages würde Kit heiraten und Söhne bekommen – die Erben Cottingdeans. Inständig hoffte Edward, sie würden das Landgut so lieben und in Ehren halten, wie er es selbst täte, hätte er das Recht dazu.
Wie er sich eingestehen musste, würde es ihm nichts nützen, wenn sein Vater der ältere Danvers gewesen wäre. Niemals würde er Söhne zeugen können. Er ballte die Hände und wünschte wie so oft, er fände den Mut, seinem elenden Leben ein Ende zu machen.
In Cottingdean durfte er nicht wohnen. Daran hatte Kit keinen Zweifel gelassen und sogar vom Verkauf gesprochen, verdammt – von der Übersiedlung nach London. Als wäre das Anwesen eine Bürde, die man schleunigst loswerden musste! Wie sehr Edward seinen Vetter verachtete … Beinahe hasste er ihn.
3. KAPITEL
„Ich störe dich nur ungern, Sage, aber Alexi ist am Telefon und besteht darauf, dich zu sprechen.“
Sage blickte so verständnislos vor sich hin, dass Faye zunächst glaubte, die Schwägerin hätte sie nicht gehört.
Der große, komfortable Polstersessel ersetzte Edwards Lederstuhl, seit Liz die Bibliothek übernommen hatte. Er war vom Schreibtisch weggerückt worden, und Sage saß darin, die Knie hochgezogen. Seidige Haare fielen über ihr Gesicht. Sichtlich gefesselt von ihrer Lektüre, erinnerte sie Faye an das viel jüngere, viel verletzlichere Mädchen, das sie bei ihrem ersten Besuch in Cottingdean kennengelernt hatte.
Doch nun hob Sage den Kopf, und die Illusion löste sich in nichts auf. Faye überlegte, ob ihre Schwägerin wusste, wie kühl, distanziert und gebieterisch sie manchmal wirkte.
„Alexi?“, fragte Sage gleichmütig, als würde ihr der Name nichts bedeuten.
Unwillkürlich schaute sie auf das geöffnete Tagebuch in ihren Händen, und Faye verspürte eine vage Angst. Was enthielten diese Aufzeichnungen? Was mochte Sage stundenlang gefesselt haben? Im Kamin war das Feuer herabgebrannt, Dunkel erfüllte den Raum außerhalb des Lichtkreises, den die Leselampe auf dem Schreibtisch verbreitete. Düstere Schatten, dachte Faye und erschauerte unbehaglich. „Ja, er will unbedingt mit dir reden. Oh – als du nicht zum Dinner kamst … Ich wollte dich nicht stören, und so rief ich im Krankenhaus an. Liz’ Zustand ist unverändert.“
Unverändert … Langsam schloss Sage das Tagebuch und stöhnte, weil ihre eingeschlafenen Beine zu prickeln begannen. Ihr war nicht aufgefallen, wie lange sie schon reglos in Liz’ Sessel kauerte. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr und erschrak. Nach Mitternacht. Nun erinnerte sie sich an ihre Absicht, Alexi um elf anzurufen, in der Überzeugung, zu diesem Zeitpunkt würde sie von den minutiösen Alltags- und Arbeitsberichten ihrer Mutter genug haben.
Doch die Wirklichkeit hätte gar keinen krasseren Kontrast zu ihren Erwartungen bilden können. Sie vermochte kaum zu glauben, dass dieses Mädchen, das so offenherzig und leidvoll Tagebuch geführt hatte, Liz Danvers war. Noch erstaunlicher fand sie den Wunsch der Mutter, die Familie möge dies alles lesen.
Würde sie selbst unter ähnlichen Umständen ein solches Eindringen in ihre Vergangenheit, in ihr Leben dulden oder sogar fördern? Vielleicht – wenn sie im Sterben läge, wenn es die letzte Chance wäre, die Hand nach den Angehörigen auszustrecken, gewisse Dinge zu klären … Plötzlich fröstelte sie. Nur widerstrebend hatte sie die Lektüre unterbrochen, als Faye in die Bibliothek gekommen war. Aber jetzt wollte sie nicht mehr weiterlesen. Vor welcher Entdeckung fürchtete sie sich?
„Alexi…“, wurde sie von Faye zaghaft erinnert.
Arme Faye. Zweifellos war Alexi sehr unhöflich zu ihr gewesen, hatte
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