Schattenjahre (German Edition)
musst. Aber gib mir bitte sofort Bescheid, sollten durch meine Anwesenheit irgendwelche Probleme auftauchen. Ich bin nicht besonders taktvoll, und subtile Hinweise auf Unannehmlichkeiten verstehe ich nicht. Wenn ich also für irgendwas verantwortlich bin, das dir missfällt, sag’s mir offen und ehrlich.“
„Ich glaube, darauf sollte Jenny dich aufmerksam machen.“ Faye lächelte. „Eigentlich ist sie es, die hier den Haushalt führt.“
Sage hatte sich bereits abgewandt, um zum sonnigen Frühstückszimmer zu gehen. Doch dann blieb sie stehen, als ihre Schwägerin zögernd hinzufügte: „Wird es Alexi nichts ausmachen, wenn du hier wohnst?“
„Das spielt keine Rolle mehr“, erwiderte Sage leichthin. „Falls er anruft und dich ärgert, leg einfach auf. Heute Morgen besuche ich Mutter im Krankenhaus, dann rufe ich in meinem Büro an. Ich muss einige Arrangements treffen, damit man mir die Post nach Cottingdean schickt und die Anrufe hierher weiterleitet. Möchtest du mich mit Camilla in die Klinik begleiten oder Mutter lieber allein besuchen – nachdem der Doktor gesagt hat, man kann sie jederzeit sehen?“
„Nein, wir kommen mit dir, wenn du einverstanden bist …“
Sie betraten das Frühstückszimmer, das in sanften Gelb- und Blautönen eingerichtet war. Die Fenster gingen nach Süden hinaus. Jennys Mann arbeitete bereits im Garten.
Eine Glastür führte zu einer kleinen Terrasse, eine Treppe zu einem Weg hinab, den gestutzte Eibenhecken säumten. An seinem Ende erhob sich eine Pan-Statue.
Weder die Hecken noch die Statue hatten existiert, als Liz nach Cottingdean gezogen war, nur wild wuchernde Unkrautmassen. Wie fest musste sie an die Zukunft geglaubt haben, um einChaos in grüne Vollkommenheit zu verwandeln? Und was hatte sie zu diesem Glauben veranlasst? Das Haus war beinahe eine Ruine gewesen. Für die Renovierung hatte das nötige Geld gefehlt, von einem so eleganten, nutzlosen Park ganz zu schweigen. Der Ehemann war Invalide, ein Baby unterwegs. Keine Familie, keine hilfreichen Freunde … Und doch hatte sie schon während des ersten Sommers in Cottingdean die Neugestaltung des Gartens geplant, trotz der Gewissheit, dass die Verwirklichung ihres Vorhabens viele Jahre dauern würde.
Warum? Früher hatte Sage die Visionen ihrer Mutter einem hartnäckigen Stolz zugeschrieben, der Weigerung, sich irgendwelche Steine in den Weg legen zu lassen. Jetzt sah sie Liz’ Handlungsweise etwas anders – als impulsiven, verzweifelten Kampf gegen eine so gewaltige, erdrückende Bürde, dass man sich dagegen auflehnen musste, um nicht vernichtet zu werden.
„Bist du okay?“ Besorgt berührte Faye den Arm ihrer Schwägerin.
Sage wusste nichts von dem Kummer, der ihre Augen umschattete. „Ich dachte nur an Mutters Garten. Wie um alles in der Welt konnte sie glauben, ihr Traum würde sich jemals erfüllen?“
Das schien Faye nicht zu verstehen. Wie sollte sie auch? Noch hatte sie die Tagebücher nicht gelesen, und dummerweise widerstrebte es Sage, sie dazu aufzufordern, bevor … Wovor? Dieses Gefühl, die Mutter schützen zu müssen, war lächerlich. Schließlich wünschte Liz, dass alle ihre Angehörigen lasen, was sie geschrieben hatte.
„Da ist Camilla.“ Faye unterbrach Sages düstere Gedanken, wandte sich zu ihrer Tochter, die von der Terrasse her ins Zimmer rannte, und tadelte sanft: „Darling, du solltest erst nach oben gehen und dich umziehen, ehe du mit uns isst. Sage will sicher nicht neben einem Mädchen frühstücken, das nach Pferden riecht …“
„Gran hat das nie gestört“, stieß Camilla heftig hervor, als wollte sie ihre Tante zu einem Widerspruch herausfordern.
Sage hatte sich immer gut mit Davids Kind verstanden, aber nun entdeckte sie in den Augen ihrer Nichte eine gewisse Unsicherheit, sogar Ablehnung. Weil Sage den Platz ihrer Mutter einnahm. Weil Camilla von dem lieblosen Verhältnis zwischen ihrer Tante und ihrer Großmutter wusste und der ersteren um der letzteren willen grollte? Sie war ein so loyaler Mensch, so gefühlvoll.
„Mich stört es auch nicht“, erklärte Sage in beiläufigem Ton. „Hat dir das Reiten Spaß gemacht? Ich war ganz grün vor Neid, als Jenny mir erzählte, du seist zum Stall gegangen.“ Sie setzte sich – nicht auf den angestammten Stuhl der Mutter, von wo man die schönste Aussicht auf den Garten genoss. Camillas prüfender Blick entging ihr nicht, als sie sich an Faye wandte. „Du solltest Mutters Job übernehmen und den Kaffee
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