Schattenjahre (German Edition)
ein Gespräch zu eröffnen. Ihre Konzentration galt dem Kind unter ihrem Herzen, der Liebe zu seinem Vater.
Es wurde kälter, böige Winde und Regenfälle verschlechterten das Wetter. Durchnässt und frierend fuhr Lizzie täglich mit ihrem Rad zur Klinik. Trotz der Schwangerschaft nahm sie, ab. Die Zukunftsangst und die Sehnsucht nach Kit beeinträchtigten ihren Appetit, obwohl sie sich sagte, sie müsse um des Babys willen essen. Sobald ein Teller mit der wenig verlockenden Krankenhauskost vor ihr stand, rebellierte ihr Magen.
Bestürzt beobachtete Edward, wie sie immer dünner wurde. Längst akzeptierte er, dass sie irgendwie einen Platz in seinem Herzen gefunden hatte. Daraus konnte natürlich nichts werden, wie er sich bitter vor Augen führte. Eine schöne junge Frau, die ihr Leben noch vor sich hatte – jetzt, wo der verdammte Krieg vorbei war und er ein Invalide, der ihr nichts bieten konnte … Bedrückt verglich er sich mit seinem Vetter.
Er hatte einen Brief vom Familienanwalt erhalten und noch nicht geöffnet. Vermutlich steckte in dem Kuvert eine offizielle Warnung von Kit, sobald er verheiratet sei, dürfe Edward nicht hoffen, ins Haus Cottingdean zu ziehen.
Das wäre typisch für Kits Egoismus. Erbost starrte der Patient auf den Brief. Was bildete sich sein Vetter ein? Dass er, Edward, ihm zur Last fallen, dankbar die Verachtung seines Wohltäters ertragen und zusehen würde, wie seine Neffen und Nichten aufwuchsen, während sein eigenes Leben allmählich erlosch?
An diesem Morgen hatte Lizzie Dienst, und er freute sich wie immer auf ein Wiedersehen. Sie wollte ihn in den Park bringen. Skeptisch blickte er aus dem Fenster. Es regnete, der Wind beugte die Bäume. Normalerweise würde das Wetter Lizzie nicht davon abhalten, den Rollstuhl nach draußen zu schieben. Aber in letzter Zeit wirkte sie so schwach und zerbrechlich. Vermutlich bekamen weder die Krankenschwestern noch die Hilfsschwestern genug zu essen, trotz ihrer harten Arbeit.
Hektische Aktivitäten weiter hinten in der Abteilung kündigten den Schichtwechsel an. Edward verstaute den ungeöffneten Brief in seiner Tasche und versuchte, nicht allzu eifrig nach Lizzies vertrautem Gesicht Ausschau zu halten.
Während der Nacht hatte es in Strömen geregnet, und auf dem Weg zum Gebäude trat Lizzie versehentlich in eine tiefe Pfütze. Ihre Schuhe wurden völlig durchweicht, und sie fröstelte. Ein Ausflug in den Park war das Letzte, was sie sich jetzt wünschte. Aber als sie zu ihrer Abteilung geeilt war, wisperte das Mädchen, das sie ablösen sollte: „Hoffentlich hast du deinenRegenmantel mitgebracht. Seine Hoheit ist bereit und wartet schon ungeduldig auf dich.“
Beim Anblick der Decke über Edwards Knien unterdrückte Lizzie einen Seufzer. Während sie zu ihm ging, bemerkte er die Müdigkeit in ihren Augen und sagte rasch: „Heute möchten Sie sicher nicht hinaus, bei diesem schrecklichen Wetter.“
Ohne es zu wollen, hörte sie den schmerzlichen Unterton in seiner Stimme. Sie fragte sich, wie man sich fühlen musste, wenn man hier eingesperrt war, nur selten frische Luft atmete, kaum etwas anderes sah als die grimmigen Krankenhauswände. Sie bekämpfte ihre Erschöpfung und ihr Frösteln. So heiter wie möglich erwiderte sie: „Immerhin hat es zu regnen aufgehört.“ Aus den Augenwinkeln sah sie, wie ihr die Stationsschwester anerkennend zunickte, als sie den Rollstuhl zur Tür schob. Draußen zitterte sie, und Edward, der das schwache Vibrieren spürte, runzelte die Stirn.
Ihr Mantel, eher eine Jacke, war viel zu dünn für dieses Wetter. Sie brauchte was Warmes, Dickes aus Tweed, dachte er besorgt und erinnerte sich an den Mantel seiner Mutter mit dem großen Pelzkragen.
Sein Lieblingsplatz war ein stilles Gärtchen, wo eine Steinbank vor einem runden Fischteich mit Springbrunnen stand. Der Brunnen funktionierte nicht mehr, Unkraut wucherte über dem Wasser. Die noch verbliebenen Goldfische waren groß und dick und irgendwie furchterregend. Bedrückt verglich Lizzie die satte Gefräßigkeit dieser Tiere mit ihrem eigenen mangelnden Appetit. An diesem Morgen hatte die Übelkeit länger gedauert als sonst und sie stark geschwächt. Beim Erwachen waren ihre Wangen tränennass gewesen. Wann würde sich Kit endlich bei ihr melden? Sie fühlte sich so allein, und sie begann Angst zu empfinden. Wenn sie auch nicht fürchtete, er könnte sie verlassen – das niemals –, aber wenn ihm etwas zugestoßen war? Nun, was immer geschehen
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