Schattenjahre (German Edition)
einem erzählt haben. Hat er dir seine Adresse gegeben? Hat er dir irgendwas über sich selbst verraten außer seinem Namen? Weißt du überhaupt, ob es der richtige Name ist. Du kannst dir doch denken, was mit dir passiert, wenn sich dein Zustand herumspricht. Du verlierst deinen Job und wirst nach Hause geschickt.“
Nach Hause? Zu ihrer Tante? Zum ersten Mal stieg kalte Angst in Lizzie auf. Sie erschauerte, immer noch unfähig, Donnas Worte zu akzeptieren. Trotzdem fürchtete sie das Zukunftsbild, das ihre Kollegin da gemalt hatte. Wie würde ihr weiteres Leben verlaufen, wenn sie zu Tante Vi zurückkehrte, schwanger und ledig? Die Tante würde sie angesichts dieser Schande nicht aufnehmen, ihr die Tür weisen und sie enterben.
Von einem schweren Schock getroffen, begann Lizzie zu zittern. Aber warum hatte sie Angst? Nichts dergleichen würde mit ihr geschehen. Kit würde sie heiraten – das wusste sie. Es gab keinen Grund zur Sorge, sie musste nur an die Wahrheit glauben und sich an Kits Liebe erinnern.
„Sei doch vernünftig, Kindchen! Die Schwangerschaft kann noch nicht allzu weit fortgeschritten sein. Wenn wir Glück haben, werden wir das Baby los.“
„Nein!“, widersprach Lizzie energisch und fügte mit ruhiger Würde hinzu: „Selbst wenn du recht hättest, wenn Kit mich nicht liebte, und ich weiß, dass du dich irrst – niemals könnte ich mein Kind töten.“
Da fand sich Donna mit ihrer Niederlage ab. Während sie eine verächtliche Bemerkung über die Dummheit ihres eigenen Geschlechts vor sich hin murmelte, ging sie davon. Sollte die kleine Närrin doch am eigenen Leib spüren, wie das wirkliche Leben aussah … Gut und schön, jetzt behauptete sie, dass sie das Balg wollte. Aber wenn sie den Job verlor, wenn sie mit Schimpf und Schande aus dem Krankenhaus gejagt wurde, kein Dach über dem Kopf hatte, kein Geld und niemanden, der ihr half … O ja, dann würde sie anders reden. Donna hatte das schon bei vielen Mädchen beobachtet. Wütend dachte sie an die vielen Bürden, die den Frauen aufgehalst wurden, und sehnte sich nach einer Zeit, wo sich die Dinge ändern, wo die Frauen das Recht erhalten würden, ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Aber vorher mussten sie die emotionalen Fesseln abstreifen, mit denen sie geboren wurden, und aufhören, die Männer zu lieben, von ihnen abhängig zu sein. Was das männliche Geschlecht betraf, gab sie sich keinen Illusionen hin. Sie würde niemals heiraten und sich auch nicht mit Mutterpflichten belasten.
Viele Wochen schleppten sich dahin, und Lizzie bekam keinen Brief von Kit. Allmählich hatte sie sich an die Tatsache ihrer Schwangerschaft gewöhnt. Das Kriegsende in Europa wurde landesweit gefeiert, aber für sie war viel wichtiger, was in ihrem Körper geschah. Sie wusste nicht, ob Kit nach dem Sieg wohlbehalten heimgekehrt war oder immer noch irgendwo in Gefahr schwebte. Und ehe sie das wusste, konnte sie die Freude ihrer Mitmenschen nicht teilen. Auch ihr achtzehnter Geburtstag verging sang- und klanglos, abgesehen von einem kleinen Geschenk, das ihr die Tante schickte.
Im Bett presste sie manchmal die Hände auf den Bauch, in Liebe und Verwunderung, doch auch in schmachvoller Panik. Natürlich wusste sie, dass Kit sie liebte, aber sie wollte endlich wieder von ihm hören oder – noch besser – ihn sehen. Sicher, Männer wie Kit hatten so hart gekämpft, um das Vaterland zu schützen, und wie zahllose andere Frauen musste sie geduldig und ängstlich auf die Rückkehr des Liebsten warten. Aber sie sehnte sich so sehr nach seiner tröstlichen Nähe, brauchte ihn so dringend, um die mitleidigen Blicke der Kolleginnen abzuwehren, die ihr den Glauben und den Mut zu nehmen versuchten und dem Allmächtigen dankten, weil sie nicht in Lizzies Schuhen steckten.
Edward bemerkte ihre Niedergeschlagenheit und sorgte sich. Doch er stellte keine Fragen, denn er nahm an, sie wäre nur deshalb so trübsinnig, weil sie seine Gesellschaft als Belastung empfand.
Der Arzt hatte erklärt, bei einer vorsichtigen Lebensweise habe Edward noch zwanzig Jahre vor sich – eine grauenvolle Aussicht. Noch zwanzig Jahre in diesem Zustand. Wenn er morgens erwachte, erschien es ihm manchmal unerträglich, die nächsten zwanzig Stunden zu überstehen.
Obwohl Lizzie normalerweise sehr empfänglich für die Emotionen und Stimmungen anderer war, nahm sie Edwards Verzweiflung nicht wahr. Sie widmete ihm immer noch viel Zeit, reagierte aber nur mehr mechanisch auf seine Versuche,
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