Schattenjahre (German Edition)
übers Herz. „Ja“, bestätigte er und fügte rasch hinzu: „Aber als ich ihn das letzte Mal sah, kündigte er an, er würde seine Verlobung lösen …“
Vielleicht war es gar keine Lüge. Soviel er wusste, hatte Kit zwar beabsichtigt, Lillian zu heiraten, sie aber nie geliebt. Edward bezweifelte, dass sein Vetter jemals eine andere Person geliebt hatte als sich selbst. Doch diesen Gedanken sprach er nicht aus.
„Ich habe nur zehn Minuten Zeit, Lizzie, und ich muss mit Ihnen reden. Bitte hören Sie mir zu. Sicher sind Sie jetzt furchtbar unglücklich. Aber was ich Ihnen zu sagen habe, ist nicht nur für Sie selbst, sondern auch für Ihr Kind wichtig.“
Er sah, wie sich ihr Körper versteifte, und obwohl sie ihm den Kopf nicht zuwandte, wusste er, dass sie ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte.
„Dieses Kind wird eines Tages mein Erbe sein und Cottingdean erhalten, das mir von Kit hinterlassen wurde. Dr. Marshall erklärte mir, man würde Sie heute zu Ihrer Tante schicken. Und wie ich seinen Worten entnahm, wird diese Frau Sie nicht willkommen heißen. Lizzie, Sie wissen genauso gut wie ich, dass ich für den Rest meines Lebens ein Invalide bleiben werde, abhängig von anderen Menschen. Ob ich jemals ein Kind zeugen kann, ist zweifelhaft. Aber Ihr Kind, Kits Kind, hat das Recht, in Haus Cottingdean aufzuwachsen. Immerhin wird es eines Tages ihm gehören. Ich wünschte, ich könnte Ihnen den Schutz meines Hauses als Ihr Schwager anbieten und Kits Witwe bei mir aufnehmen – oder wir könnten Ihre Beziehung zu ihm freimütig bekannt geben. Aber das ist leider unmöglich. Begleiten Sie mich mit dem Baby nach Cottingdean. Das ist Ihr Recht. Wäre Kit am Leben geblieben, hätte er sie geheiratet und selbst dorthin gebracht.“ Natürlich hätte sein Vetter das niemals getan, aber es wäre zu grausam gewesen, die Wahrheit zu sagen. „Heiraten Sie mich, Lizzie.“
Sie setzte sich im Bett auf und starrte ihn an. Träumte sie, oder hatte Edward ihr soeben einen Antrag gemacht? Sie unterdrückte das hysterische Bedürfnis, in Gelächter auszubrechen. Es wäre ein bitteres Lachen gewesen, kein belustigtes. So lange hatte sie den Augenblick herbeigesehnt, in dem Kit sie bitten würde, ihn zu heiraten, und sich die Ehe mit ihm ausgemalt. Edwards Vorschlag erschien ihr nun wie eine Parodie ihrer inständigen Wünsche, wie ein brutaler, fast unerträglicher Hohn des Schicksals.
Edward zu heiraten … So nett und gütig er auch sein mochte, er würde zeitlebens ein Invalide bleiben, das hatte er selbst betont. Ein richtiger Ehemann konnte er wohl niemals werden, und daran wäre sie auch gar nicht interessiert – nicht in sexueller Hinsicht. Diese Dinge gehörten endgültig der Vergangenheit an. Nie wieder würde sie einem Mann erlauben, sie so zu lieben, wie Kit es getan hatte.
Natürlich konnte Edward nie den Platz seines Vetters einnehmen. Aber er würde siebeschützen, flüsterte eine innere Stimme, und sie mitsamt ihrem ungeborenen Kind in den Mantel der Ehrbarkeit hüllen. Und er konnte verhindern, dass sie zu ihrer Tante geschickt wurde.
Nein, er war nicht Kit, aber welcher Mann würde das jemals sein? Sie erschauerte und versuchte vergeblich, sich vorzustellen, sie könnte mit einem anderen solche Intimitäten teilen wie mit Kit, die sie sogar in den Armen des Geliebten schmerzhaft widerwärtig gefunden hatte. Wenn sie ehrlich war, empfand sie sogar Erleichterung, weil sie davon verschont werden sollte.
Edward zu heiraten … Sie müsste Nein sagen. Warum tat sie es nicht?
„Denken Sie an das Kind!“, drängte er und wusste, was ihr durch den Kopf ging. Deutlich vermochte er in ihren klaren Augen zu lesen, was sie dachte. „Ich verstehe, welch ein Opfer Sie bringen würden. Aber es wäre Kits Wunsch, dass sein Sohn oder seine Tochter in Cottingdean aufwachsen könnte.“ Seinem Vetter wäre es verdammt egal gewesen, doch das würde Lizzie nie erfahren. „Heiraten Sie mich!“, verlangte er. Plötzlich kühn und entschlossen, erinnerte er sie in diesem Moment so qualvoll an Kit, dass sie in Verwirrung geriet.
Sie fühlte sich schwach und hilflos. Die ganze Nacht hatte ihr vor der Zukunft gebangt, und nun bot Edward ihr eine Zufluchtstätte an, neue Hoffnung für ihr Baby und sie selbst. Und er hat recht, überlegte sie und holte tief Atem. Kits Sohn musste im Haus seines Vaters heranwachsen, vor dem Makel der unehelichen Geburt bewahrt werden.
„Es wäre Kits Wunsch“, wiederholte Edward
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