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Schattenjahre (German Edition)

Schattenjahre (German Edition)

Titel: Schattenjahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Jordan
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Lizzie an Kit, nicht vom Aussehen, sondern vom Verhalten her, und neue Verzweiflung erfasste sie.
    Stumm saß Edward neben ihr im Rollstuhl. Seit sie in den Zug gestiegen waren, hatten sie kein einziges Wort gewechselt, und sie schämte sich, weil sie auch gar nicht mit ihm reden mochte. Sie wollte mit ihren Gedanken an Kit allein sein, mit dem Wissen, dass sie sein Kind gebären würde. Wie desorientiert und verwirrt sie sich fühlte … Zu viel war in kurzer Zeit geschehen, zu schnell.
    Auf den gegenüberliegenden Plätzen lachten und rauchten die Amerikaner mit ihren Mädchen. Der Mann, der Lizzie an Kit erinnerte, legte einen Arm um die Taille seiner Freundin, die kichernd protestierte. „Komm schon, Baby!“, rief er. „Letzte Nacht warst du nicht so widerspenstig.“ Er grinste seine Kameraden an, und zu Lizzies Entsetzen griff er ungeniert in den Ausschnitt seiner Begleiterin.
    Von schmerzlichem Unbehagen erfüllt, sah sie in dem Paar plötzlich keine Fremden, sondern sich selbst und Kit. Und sie versteifte sich angesichts der offenkundigen sexuellen Gefühlezwischen den beiden. Sie erschauerte, und das andere Mädchen fragte besorgt: „Alles in Ordnung mit Ihnen, Kindchen?“ Als Lizzie nickte, fuhr die junge Frau fort: „Ihr Vater sieht gar nicht gut aus. Jetzt ist er eingeschlafen – sicher das Beste für ihn.“
    Lizzie starrte sie an. Das Mädchen hielt Edward für ihren Vater. Sie wusste, wie alt er war – knapp dreißig. Das erschien ihr ziemlich alt, aber Kit war nur wenige Jahre jünger gewesen. Natürlich sah ihr Mann älter aus, mit seinem grauen Haar und dem schmerzverkrümmten Körper. Aber ihr Vater …
    Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie der Soldat, der sie an Kit erinnerte, seine Freundin küsste. Er presste sie so leidenschaftlich an die staubige Rückenlehne, dass Lizzie wegschauen musste. Erleichtert atmete sie auf. Nie mehr würde sie sich männlicher Begierde unterwerfen, nie wieder solche Gefühle vortäuschen müssen … Sie akzeptierte ihre Abneigung gegen Sex als Charakterzug und kam gar nicht auf den Gedanken, Kits mangelndes Feingefühl dafür verantwortlich zu machen, seine Lieblosigkeit oder die Prüderie ihrer Tante, die ihr eingebläut hatte, Intimitäten zwischen Mann und Frau dürften nur erduldet und nie genossen werden. Zu jung, um sich eine eigene Meinung zu bilden und eigene Wertmaßstäbe zu entwickeln, bezweifelte sie nicht, dass Tante Vi den richtigen Standpunkt vertrat.
    Ein Impuls, den sie nicht ganz verstand, veranlasste sie, ihre Hand mit dem zerkratzten Ehering zu heben, der Edwards Mutter gehört hatte und viel zu locker am Finger saß. „Edward ist nicht mein Vater, sondern mein Mann.“ Tapfer blickte sie der jungen Frau in die Augen, forderte sie heraus, Mitleid oder Bestürzung zu zeigen. Obwohl sie es selbst nicht erkannte, war dies der erste Schritt zu einer neuen Reife.
    Edward schlief nicht. Dafür quälten ihn zu starke Schmerzen. Er hatte zugehört und fragte sich nun bedrückt, was die Zukunft bringen würde. War es verrückt gewesen, Lizzie zu heiraten? Vorläufig befand sie sich immer noch im Zustand eines Schocks, war zu verzweifelt über Kits Tod, um zu begreifen, was mit ihr geschah. Sicher verspürte sie eine gewisse Dankbarkeit, weil er ihr half, vor ihrer Tante zu flüchten, vor der Armut, weil er sie vor dem Stigma eines unehelichen Kindes bewahrte. Aber wenn der Schock nachließ, wenn ihr die Realität dieser Ehe bewusst wurde – was würde sie dann empfinden? Würde sie ihm immer noch dankbar sein oder ihn hassen, als Bürde betrachten? Sie war erst achtzehn, viel zu jung, um an einen Mann wie ihn gefesselt zu werden. Aber er liebte sie so sehr und brauchte sie.
    In Bath mussten sie aussteigen und drei Stunden auf den langsamen Lokalzug warten, der sie nach Cottingdean bringen würde. Lizzie bemerkte Edwards Erschöpfung und ahnte, dass ihn heftige Schmerzen peinigten. Dr. Marshall hatte ihr Medikamente für ihren Mann gegeben, auch einen Brief für den Hausarzt der Danvers, sie vor möglichen Komplikationen gewarnt und betont, Edward würde stets das Leben eines Invaliden führen. Sie hatte es kommentarlos hingenommen, ohne sich klarzumachen, was es bedeutete.
    Während sich die Lokalbahn durch kleine Dörfer wand, bemerkte sie, was Edward neue Kraft gab – die Rückkehr an den Ort, wo er einmal glücklich gewesen war. Sie versuchte sich Haus Cottingdean vorzustellen, indem sie sich an die Beschreibungen ihres Mannes

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