Schattenjahre (German Edition)
eindringlich.
„Kits Wunsch …“ Ja, natürlich. Auf einmal erschien ihr alles ganz einfach. Sie musste Edward heiraten. Dann würde sie, zusammen mit ihrem Kind, für immer in Sicherheit sein, das Baby vor bösartigem Tratsch, sie selbst vor grausamer männlicher Sexualität gerettet werden.
Wenn sie Edwards Frau war, konnten ihr andere Männer nichts mehr anhaben. Und er würde niemals imstande sein, jene körperlichen Intimitäten von ihr zu fordern, die sie so fürchtete. Obwohl sie erst achtzehn Jahre zählte, kam sie sich plötzlich wie eine Greisin vor.
6. KAPITEL
„Heute haben Edward und ich geheiratet.“ Lizzie starrte auf die Worte, als wären sie in einer Fremdsprache geschrieben und würden ihr nichts bedeuten. Welch ein Unterschied zu dem heißen Glück in jenem Augenblick, als sie ihrem Tagebuch die Begegnung mit Kit anvertraut hatte …
Alles war so schnell geschehen. Wegen ihrer Minderjährigkeit hatte Edward vor der Hochzeit Tante Vis Erlaubnis einholen müssen. Wie ihm das gelungen war, verstand Lizzie nicht, denn die Tante wollte nichts mehr mit der Nichte zu tun haben. Lizzie hieß jetzt Mrs Danvers. Schmerzhaft krampfte sich ihr Herz zusammen. Mrs Edward Danvers. Eigentlich müsste ihr Name Mrs Christopher Danvers lauten. Ihre Augen fühlten sich trocken an, wie ausgedörrt. Sie hatte schon zu viele Tränen vergossen. Nun waren keine mehr übrig.
Plötzlich konnte sie es nicht mehr erwarten, das Krankenhaus zu verlassen, das neue Leben zu beginnen, das Edward ihr versprochen hatte. Wie ein kleiner Junge freute er sich auf die Rückkehr in das Heim seiner Kindheit. Er beschrieb es in so glühenden Farben, dass sie es deutlich vor ihrem geistigen Auge sah. Würde sie in eine so elegante Umgebung passen? Mit ihrer Tante hatte sie solche Häuser besucht und war immer etwas eingeschüchtert gewesen. All die hübschen Antiquitäten, das kostbare Porzellan, die pastellfarbenen Teppiche, die glänzend polierten Parkettböden …
Aber in Cottingdean würde es anders sein. Das war ihr neues Heim. Dort würde sie als Hausherrin leben, ihr Kind als der künftige Erbe. Nicht nur ihr, sondern auch Edwards Kind.
Der Einzige, der versucht hatte, ihr die Hochzeit auszureden, war Dr. Marshall gewesen. Wisse sie tatsächlich, was diese Ehe für ihr ganzes weiteres Leben bedeute, fragte er bärbeißig, während sie ihn apathisch anstarrte, und fügte dann fast wütend hinzu: „Um Himmels willen, Kindchen, Ihnen muss doch klar sein, dass Edward niemals ein richtiger Ehemann sein wird. Im Augenblick stört Sie das nicht – kein Wunder bei Ihrem Zustand. Aber in späteren Jahren …“
Lizzie war errötet, nicht vor Verlegenheit, sondern wegen ihres schlechten Gewissens. Sie fühlte sich erleichtert, weil sie nie wieder diese widerwärtigen Intimitäten ertragen musste. Wenn sie den Sex nicht einmal mit Kit genossen hatte – wie sollte sie dann mit einem anderen Freude daran finden? Offensichtlich gehörte sie zu den Frauen, die von ihrem Wesen her unfähig waren, sinnliche Lust zu verspüren. Kit hatte das angedeutet, und sie gab ihm recht.
Nur vage nahm sie Edwards Freundlichkeit und Fürsorge wahr, sein Bemühen, sie zu schützen. Die Trauer um Kit, das Wissen, dass sie den schmerzlichen Verlust um des gemeinsam gezeugten Kindes willen verkraften musste, beherrschte ihre Gedanken und ließ keinen Raum für etwas anderes.
Mithilfe einer besonderen Alchimie, die dem weiblichen Geschlecht eigen war, hatte sie den arroganten, selbstsüchtigen, leichtfertigen Kit in das Gegenteil verwandelt. In ihrer Erinnerung bewahrte sie ihn als vollkommenen Menschen, ihre einzige große Liebe. Das Leben mit Edward würde nur ein düsterer Schatten sein, verglichen mit dem hellen Glanz ihrer Gefühle für Kit.
Der Vikar, der in den Kriegsjahren mehr überstürzte Trauungen vorgenommen hatte, als er sich entsinnen wollte, war beim Anblick des Paares erschrocken. Die Braut – zu jung, der Bräutigam – viel älter und sichtlich krank … Zu Lizzies Überraschung hatte Edward einen Fotografen bestellt, der sie beide beim Verlassen der Kirche knipste, beobachtet von einer großen Zuschauermenge.
„Für das Kind“, erklärte Edward später, und sie runzelte in plötzlicher Eifersucht die Stirn, bestrebt, Kits Rechte an seinem Sohn zu schützen. Es war Kits Kind, das sie unter dem Herzen trug. Wenn es alt genug sein würde, wollte sie ihm alles über seinen Vater erzählen … Abrupt unterbrach sie ihre Gedanken.
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