Schattenjahre (German Edition)
nicht mehr bewohnt hatte, nachdem sie zu ihrer Tante gezogen war.
7. KAPITEL
„Heute erfuhren wir, Japan habe offiziell kapituliert und der Krieg sei vorbei.“
Liz blickte auf die Worte, die sie geschrieben hatte, und Schuldgefühle erfassten sie. Seit der Ankunft in Cottingdean wurde ihr Leben von so vielen Hindernissen und Problemen bestimmt, dass sie dem Krieg keine Bedeutung mehr beimaß. Das lag auch an der abgeschiedenen Lage des Hauses. Hier gab es kein Radio, niemand brachte die Tageszeitungen, Besucher kamen nur selten. Den Grund für diesen letzteren Mangel hatte sie zunächst bei sich selbst gesucht. Aber die wenigen Besucher belehrten sie bald, wenn auch unwissentlich, eines Besseren.
Es verblüffte sie, wie bereitwillig die Leute sie als Edwards Frau akzeptierten, ihre Jugend und die großen Unterschiede zwischen der Achtzehnjährigen und dem viel älteren kranken Mann ignorierten. Doch wie sie bemerkt hatte, vermied es sogar der Vikar, Edward direkt anzuschauen. Nur Ian Holmes, ein robuster Nordengländer um die fünfzig, ging unbefangen mit den Gebrechen seines Patienten um.
Sicher, die Dorfbewohner begegneten Liz ziemlich reserviert, aber offenbar nicht, weil sie die Wahrheit über sie erraten hatten. Es lag einfach nur daran, dass die Danvers diesen Leuten fremd waren.
Vom Doktor erfuhren sie, das Ehepaar, das sich um Haus Cottingdean hätte kümmern sollen, sei vor über einem Jahr ausgezogen. Edward vermutete, sein Vetter müsste von dieser Situation gewusst haben. Jetzt konnte er Kit natürlich nicht mehr fragen, warum das Haus so sträflich vernachlässigt worden war.
Liz brauchte nur vierundzwanzig Stunden, um zu erkennen, wie dringend sie nun die Fähigkeiten benötigen würde, die Tante Vi ihr beigebracht hatte. Etwas langsamer kam ihr zu Bewusstsein, in welch hohem Maße auch die unbesiegbare Willenskraft der älteren Frau auf sie übergegangen war. Ein Mensch, der die Wahl hat, würde nicht hier wohnen wollen, sagte sie sich am ersten Morgen verzweifelt, als sie mit steifen Gliedern in der Küche erwachte, auf der immer noch feuchten Matratze, den Modergeruch in der Nase.
Aber gab es denn eine Alternative? Sie las das Entsetzen und die Verwirrung in Edwards Augen, nachdem er sie blinzelnd geöffnet hatte, das Unglück, das Gefühl tiefer Erniedrigung. Und in diesem Moment lud sie die Bürde, die sie für den Rest ihres Lebens tragen würde, endgültig auf ihre Schultern.
Mühsam versetzte sie Edward in etwas bessere Laune und bestand darauf, ihn im Rollstuhl ins Dorf zu schieben. Dort wollte sie Lebensmittel kaufen, nach dem Verbleib der Johnsons fragen und dem Arzt Dr. Marshalls Brief geben.
Edward nannte sie nun Liz, nicht mehr Lizzie. Das überraschte sie anfangs, dann gefiel es ihr. Der neue Name klang erwachsener und bestärkte sie in ihrem Entschluss, sich nicht mehr wie ein hilfloses Kind zu fühlen.
Der Doktor gab ihnen die Adressen mehrerer Farmer, die vielleicht für einen halben Tag ihre Arbeitskräfte entbehren konnten. Mit deren Unterstützung gelang es Liz, einen kleinen Teil des Hauses bewohnbar zu machen. In der Küche schrubbte sie den Boden, die Wände und Regale mit gelber, im Stall aufgestöberter Kernseife. Das Ergebnis dieser Bemühungen hätte Tante Vi zwar nicht befriedigt, war aber zumindest ein Fortschritt.
Genauso wurden die saubersten, trockensten Räume im Erdgeschoss behandelt, um als provisorische Schlafzimmer zu dienen. Auf dem Dachboden hatte Liz primitive, wackelige Betten entdeckt, offenbar für das Militär bestimmt, das man dann doch nicht in Haus Cottingdean einquartiert hatte. Mit den dünnen Matratzen waren diese Schlafstätten nun unkomfortabler als die Betten im Schwesternwohnheim. Doch man konnte zumindest darauf liegen. Und abends kroch sie so erschöpft unter die Decken, dass sie die Klumpen in der Rosshaarunterlage gar nicht bemerkte.
Edward fiel es schwerer, einzuschlafen. Zunächst erschrak sie, weil Dr. Holmes ihm Schlaftabletten verordnete. Aber wie sie eine Woche später zugeben musste, sah ihr Mann besser aus, seit er genug Schlaf fand.
Glücklicherweise war das Wetter warm und sonnig, und er konnte im Rollstuhl die frische Gartenluft genießen, während sie drinnen arbeitete. Der desolate Zustand des Hauses, mit dem ihn so viele schöne Erinnerungen verbanden, hatte ihn tief getroffen. Angesichts seinerVerzweiflung überlegte Liz, ob es richtig war, in Cottingdean zu bleiben. Wäre es besser für ihn, wenn er nicht mehr mit
Weitere Kostenlose Bücher