Schattenjahre (German Edition)
Armer Edward … Der Anblick seines Erbes muss ihn hart getroffen haben. Das Familienvermögen hat Kit natürlich längst verjubelt …“ Sie unterbrach sich und musterte Liz. „Seltsam, dass eine so junge Frau wie Sie einen Invaliden geheiratet hat …“
Die blauen Augen wirkten keineswegs freundlich, und Liz hörte sich mit ruhiger Stimme antworten: „Ich kannte Edward schon vorher.“
„Und als er nachher zu Ihnen zurückgeschickt wurde, fühlten Sie sich verpflichtet zu halten, was immer Sie versprochen hatten. Wie edel! Was ist denn das für eine Ehe?“
Nun las Liz einen Anflug von Kummer unter dem kunstvollen Make-up. „Wie das Leben. Es liegt an einem selber, was man daraus macht.“
Sofort legte sich wieder die harte Maske über das hübsche Gesicht. „Wirklich?“, fragte Lillian gedehnt. „Nun, dann muss ich sehen, was ich machen kann. Wenigstens ist Lee reich genug, um mir im Fall einer Scheidung eine großzügige Abfindung zu zahlen. Jetzt sind die Vorzeichen genau umgekehrt“, ergänzte sie mit einem strahlenden Lächeln. „Mein Vater hat sein ganzes Geld verloren. Und ich wurde Lees Frau – aus demselben Grund, der Kit damals bewog, sich mit mir zu verloben. Schockiere ich Sie? Aber nachdem Kit mich so schnöde behandelt hat …“
„Es steht mir nicht zu, Sie zu verurteilen“, erwiderte Liz. Wie viel von diesem harten Herzen war durch Kits Einfluss entstanden? Für welches Ausmaß der Zerstörung und Verzweiflung hatte er die Verantwortung getragen? Erst später sollte ihr bewusst werden, dass sie die Enthüllungen der Besucherin kein einziges Mal bestritten hatte. So als hätte sie im Grunde ihrer Seele von Anfang an erkannt, was für ein Mann Kit gewesen war, und sich an Illusionen geklammert wie ein Kind, das die Finsternis fürchtet …
Lillian wandte sich zur Tür. „Ich muss gehen. Eigentlich habe ich keine Ahnung, warum ich überhaupt hergekommen bin.“
„Vielleicht, um einen Geist zu verscheuchen“, meinte Liz mitfühlend.
Sie begleitete die Besucherin hinaus, dann saß sie lange reglos in der Küche und starrte ins Leere. Schon seit der Hochzeit wusste sie, welch heftige Abneigung Edward gegen seinen Vetter gehegt hatte. Er wollte, dass ihre Erinnerungen an Kit der Vergangenheit angehörten, und deshalb schnitt sie dieses Thema niemals an. Wie sie allmählich herausfand, konnte er sehr eifersüchtig sein.
Nun festigte sich ihr Entschluss, ihr Versprechen zu halten, David würde als sein Sohn aufwachsen. Sie fühlte sich sogar erleichtert, weil der Junge nie erfahren würde, wie sein leiblicher Vater gewesen war, und weil das Schicksal sie zu Edward geführt hatte. Bei der Erinnerung an die Engelmacherin, zu der Kit seine Verlobte beordert hatte, erschauerte Liz. Sie dankte dem Himmel, dass es ihr nicht mehr möglich gewesen war, ihm von ihrer Schwangerschaft zu berichten.
Der Nachmittag verstrich, und sie blieb am Küchentisch sitzen, in Gedanken versunken. In diesen Stunden schloss sie die Tür zu ihrer Jugend und gelobte sich, Edward alles zu vergelten, was er für sie getan hatte. David, Edward und Cottingdean – um diese drei Angelpunkte sollte sich ihr künftiges Leben drehen.
Um ihr Recht auf Sexualität hatte Kit sie bereits betrogen, was ihr allerdings nicht bewusst war. Nun hatte er auch noch ihre Träume zerstört. Zum letzten Mal – zur Strafe, nicht zur Linderung ihrer Trauer – gestattete sie sich an die Zeit mit Kit zu denken, an jede Umarmung, jedes geflüsterte Wort. Aber diesmal streifte sie ihre Naivität und Unschuld ab. Sie sah sich selbst und Kit nicht mehr durch eine rosarote Brille, und vor Scham wurde ihr fast übel. Wie hatte sie sich so täuschen lassen können? Nie war er in sie verliebt gewesen. Er hätte ihr ins Gesicht gelacht, hätte er ihre Gefühle erraten.
Ihr Körper zwang sie, sich an jenes eine Mal zu erinnern, als sie mit ihm geschlafen und kein Glück empfunden hatte, nur Schmerz und Angst. Die Gewissheit, dass sie mit Edward niemals ein Ehebett teilen würde, störte sie nicht. Sie hatte ihren Sohn, einen liebevollen Ehemann, ein Heim, das eines Tages in seinem alten Glanz erstrahlen würde. Ihre Familie und ihr Haus sollten ihreinziger Lebensinhalt sein.
Sie war erst neunzehn Jahre alt.
Kein Besuch, sondern ein Brief bereitete Liz die dritte Überraschung. Ein getippter Brief, an sie persönlich adressiert. Sie öffnete das Kuvert, und während sie das Schreiben las, runzelte sie die Stirn. „Stimmt was nicht?“,
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