Schattenkrieg
Krieg nicht mehr aus dem Weg gehen können. Ich brauche dich, um
unseren
Rat zu überzeugen!«
»Warum? Wenn der Rat von Dachaigh na Làmhthuigh beschließt, in den Kampf zu ziehen, werden sie schon Gesandte schicken!« Derrien konnte nicht von ihm verlangen, auch noch darum zu
bitten,
in den Krieg geschickt zu werden.
»Uns fehlt die Zeit!«, blaffte sein Bruder. »Wie lange braucht der Rat, um die Armee zu mobilisieren? Einen Monat? Zwei? Wir müssen kriegsbereit sein, wenn die Gesandten aus dem Süden hier eintreffen. Der Kriegszug muss stattfinden, sobald im Frühjahr die Pässe offen sind!«
»Warum? Wenn wir riskieren, so früh zu marschieren, könnten wir eingeschneit werden und viele Männer verlieren!«
»Du unterschätzt die Größenordnung, Bruder! In Bergen tummeln sich momentan mehr Schatten als in Inverness!« Seine Stimme wurde leiser. »Und du weißt, dass Inverness ein Teufelsloch geworden ist. Bergen könnte das Gleiche passieren.«
»Inverness hat einen
Dämon
gebraucht, um so zu werden!«, meinte Ronan.
»Ja, aber wer sagt dir, dass sie nicht einen Dämon
erschaffen
können, wenn sie nur stark genug werden? Oder heraufbeschwören? Niemand weiß, woher sie kommen!«
»Wenn die Schatten Dämonen erschaffen könnten, hätten sie es in den anderen Teufelslöchern bereits getan! Aber es gibt keinen Dämon außer dem in Schottland!« Als
Teufelsloch
bezeichneten die Kelten Landstriche, in denen sich der Nebel gelichtet hatte und ein neues, verdorbenes Antlitz zum Vorschein gekommen war. Insgesamt gab es in Europa acht solcher Gegenden, die die Kelten unter genauester Beobachtung hielten. Niemand wusste, wie und ob der Prozess rückgängig zu machen war.
»Und was ist mit den Legenden?«, bohrte Derrien weiter. »Den Drachen und Monstern aus den alten Sagen und Überlieferungen?«
Ronan schüttelte den Kopf. »Das waren Phantome, keine Dämonen! Die Schatten heute sind viel stärker als damals, und trotzdem gibt es keine Berichte über neue Dämonen. Früher waren die Schatten viel schwächer, woher hätten sie da die Macht hernehmen sollen, das Monster in Loch Ness zu beschwören? Nein, Derrien. Wenn sie es könnten, hätten sie es schon getan!«
»Willst du darauf dein Volk verwetten, Bruderherz?« Sein Bruder seufzte. »Wie dem auch sei: Ich habe auch mit anderen Renegaten gesprochen, nicht nur mit denen aus Bergen. In den letzten Wochen war ich in Hamburg und Rotterdam, in Fort William und Inverness. Sie alle haben mir eines über die Schatten erzählt.« Mit durchdringendem Blick fixierte er Ronan. »Im Frühling
vermehren
sie sich. Keiner weiß, wie, keiner weiß, warum. Aber sie alle haben beobachtet,
dass
es passiert. Willst du das abwarten? Willst du es riskieren, in der Schlacht auf
noch
mehr Schatten zu treffen?« Da Ronan nicht antwortete, nahm seine Stimme einen beschwörenden Unterton an. »Ich brauche deine Hilfe, Bruder!«
»Ich verspreche dir nichts, außer, dass ich darüber nachdenken werde.«
Derrien verdrehte die Augen. »Wann warst du das letzte Mal in der Außenwelt?«
Ronan zuckte mit den Schultern. »Am Anfang August, zur letzten Ratsversammlung.«
»Dann habe ich
noch
eine Neuigkeit für dich. Die Schatten haben eine Bohrinsel versenkt. Eine
norwegische
Bohrinsel, sollte ich vielleicht dazusagen. Es wird vermutet, dass die Operation von Bergen aus geplant und ausgeführt worden ist. Das Nordmeer steht vor einer Ölkatastrophe. Und weißt du, was das Beste ist? Das Öl treibt nach
Westen
! Die Briten werden euch bei der nächsten Versammlung die Hölle heißmachen, wenn sie die Brühe an ihrer Küste haben!«
»Ist ja schon gut!«, erwiderte Ronan gereizt. Er hatte von der Bohrinsel bereits gehört, ihm war bisher nur noch nicht eingefallen, dass das die Briten auf den Plan rufen könnte. »Ich habe doch schon gesagt, dass ich darüber nachdenken werde!«
Und er fügte in Gedanken hinzu:
Und trotzdem – das ist zuerst einmal das Problem von Dachaigh na Làmhthuigh …
Ronan hatte nicht vor, das Leben seiner Männer – vielleicht sogar das seines Sohns!– zu riskieren, nur weil sein Bruder aus Sorge heraus die Probleme maßlos übertrieb. Doch sein Herz war schwer. Es klang diesmal noch um einiges ernster als das letzte Mal … Und falls sich tatsächlich die Briten bei der nächsten Ratsversammlung einmischten …
»Ich verlasse mich auf dich!«, sagte Derrien. Es klang fast wie ein Flehen. Als er jedoch Ronans steinernen Blick bemerkte, zuckte er plötzlich
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