Schattenkrieg
geschossen,
und lange konnte es nicht dauern, bis jemand nachsehen würde, was der Lärm von vorhin zu bedeuten hatte.
Wie als Antwort auf ihre Gedanken stellte Ulrich in sachlichem Tonfall fest: »Niemand hört uns.«
Veronika hielt überrascht inne und lauschte. Irgendwer musste doch auf den Schuss reagieren – die Wachhabenden im Torhaus oder die Offiziere, die ihren Flur mitbewohnten, ein Unteroffizier von unten … irgendwer! Doch sie hörte nichts bis auf das Pochen in ihren Schläfen und ihren gepressten Atem.
Ein Lächeln huschte über Ulrichs Gesicht. »Kein Mensch kommt, um dir zu helfen.«
Ihn abzulenken schien unmöglich. Der Lauf der Pistole war noch immer direkt auf ihr Gesicht gerichtet, die Mündung war nicht um einen Zentimeter ausgewandert – weder als er nach der Taschenlampe gesucht, noch als er sich verwandelt hatte. Von ihrem Kopf würde nicht viel mehr als ein Haufen kleiner Fetzen übrigbleiben, wenn sie etwas unternehmen würde …
Plötzlich brach klirrend der Spiegel aus der Wand und nahm bei seinem Sturz das Waschbecken mit sich. Veronika zuckte vor Schreck zusammen, wollte schon den Moment der Ablenkung nutzen, doch durch ihren siebten Sinn betrachtet, schien es gar keine Ablenkung zu
geben
. Die Mündung der Pistole wanderte trotz des überraschenden Lärms keinen Millimeter zur Seite aus.Ulrich blickte über seine Schulter zum Waschbecken, um zu sehen, was passiert war. Und noch immer zeigte ihr Gefahrensinn keinerlei Lücke.
Entweder mein Gefahreninstinkt wirkt auf ihn genauso wenig wie mein Kampfsinn, oder er ist
tatsächlich
so abgebrüht, dass ihn nichts ablenkt …
Ihr Herz verkrampfte sich bei der Erkenntnis. Das eine war so tödlich wie das andere – ohne Ablenkung würde sie sterben, und ohne Kampfsinn hatte sie ohnehin keine Chance gegen Ulrich – oder was auch immer ihr da gegenüberstand.
Ihr Blick fiel auf die Trümmer des Waschbeckens. Ihr Herz machte einen weiteren Satz, als sie in den Scherben ein Schwert liegen sah.
Ihr
Schwert. Ihr Medaillon, fünfzigfach vergrößert. Ein schwaches Leuchten schien von ihm abzustrahlen.
»Ah«, machte Ulrich, überhaupt nicht verwundert. »Das Schwert.« Er sah wieder zu ihr. »Ich weiß
alles
über dich.«
Seine Hand wanderte unter seiner Uniformjacke auf seinen Rücken. Sie hörte, wie er ein Messer zog. Nur dass das, was er da zum Vorschein brachte, kein reguläres Kampfmesser war. Es war eher ein kleines Schwert, mit winzigen Parierstangen und ausgeprägtem Wellenschliff. »Siehst du, ich habe auch eine Druidenklinge.« Seine Umrisse begannen wieder, mit schmatzendem Geräusch zu zerfließen. »Aber keine Angst! Ich werde es schnell machen.«
Veronika spürte, dass sein Entschluss diesmal endgültig war. Sie würde ihn nicht aufhalten können. Kalter Schweiß brach aus ihren Poren, ihre Kiefer verkrampften, als sie die Angst mit voller Wucht traf. Sie wollte nicht sterben!
Doch beinahe im gleichen Augenblick wusste sie, dass noch etwas anderes passieren würde.
Das Fenster barst einwärts, im selben Moment zuckte Ulrichs Körper von unsichtbaren Hieben getroffen zusammen und ging zu Boden, die P8 krachte und hätte Veronikas Hirn gegen die Wand gepustet, wenn sie sich nicht im letzten Moment in Deckung geworfen hätte. Ihre Hand angelte nach der Waffe, die Ulrich fallengelassenhatte, richtete sie noch im Liegen auf das Fenster, als sich auch schon eine schwarzgekleidete Gestalt hindurchschwang und die letzten Reste des Glases mit sich nahm. Veronikas Zeigefinger krampfte sich um den Abzug, sie wartete darauf, dass ihr Gefahrensinn den leisesten Hinweis einer Warnung gab.
Er reagierte nicht.
Die Gestalt trug anthrazitfarbene Kleidung und eine graue Wollmaske. Über der Schulter hatte er eine an einem Trageriemen befestigte Maschinenpistole, aus deren Lauf dünner Rauch quoll. Er griff danach, richtete sie auf Ulrich, der sich gerade wieder aufrichtete, und drückte ab. Die Waffe gab ein blechernes, stakkatoartiges Knacken von sich, die Garbe nagelte Ulrich zu Boden.
Die Gestalt griff nach der Wollmaske und zog sie sich vom Kopf. Eine Wolke schwarzen Haars fiel in ihren Rücken. Veronika glaubte ihren Augen nicht trauen zu können.
»Fatima?«, stammelte sie ungläubig.
Die …
Lehrerin
… nickte. Ihr Atem ging noch schwer, es war vermutlich nicht leicht gewesen, an den Wachen vorbei in den Stützpunkt einzudringen und die Mauer emporzuklettern.
Was passierte hier? Hatte Veronika irgendwann in den letzten
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