Schattenkrieg
Niemandsland gefunden hatte, oder vielleicht war er einfach nicht auf die Idee gekommen. Eine Antwort auf die Frage konnten letztendlich nur die beiden liefern. Und im Grunde ging es ihn kaum etwas an …
Scipio ließ wieder auf sich warten. Baturix setzte sich auf einenFelsen und gähnte herzhaft. Es war ein langer Tag gewesen, die Jagd nach dem Pferd hatte viel Kraft gefordert. Er freute sich schon darauf, sich endlich hinlegen und schlafen zu können – auch wenn sein Lager heute Nacht aus nicht mehr bestand als ein paar simplen Wolldecken in einem kleinen Lederzelt. Natürlich würde er viel lieber zu Hause schlafen, bei und mit seiner Frau, aber daran war im Augenblick nicht einmal zu
denken
.
Ohnehin musst du erst einmal heil aus dem Krieg zurückkehren …
Es war schwer zu akzeptieren, dass sie sich auf einem Kriegszug befanden. Ja, er hatte die Armee marschieren sehen, knapp zwanzigtausend Mann, eine unglaubliche Menge … aber bisher hatte es noch kein Blutvergießen gegeben, zumindest nicht, soweit Baturix davon wusste. Krieg, das war für ihn, der er die Schlacht am Jostedalsbreen verpasst hatte, immer noch etwas, das man mit Bomben, Maschinengewehren und Panzern ausfocht und nicht mit Pfeilen und Schwertern.
Er blickte auf, als er das leise Klacken der Gehstöcke hörte. Quälend langsam schälten sich Scipios Umrisse aus der Dunkelheit.
»Alles in Ordnung?«, fragte Baturix.
»Könnte besser gehen«, antwortete Scipio mürrisch.
»Es kann nicht mehr weit sein.«
Wortlos ging Scipio an ihm vorbei. Baturix folgte ihm nachdenklich. Es war schon merkwürdig: Der alte Mann schnaufte nicht einmal schwer – es war auf keinen Fall die Kondition, die ihm zu schaffen machte, sondern einzig und allein die Schmerzen in den Knien. Wahrscheinlich Arthrose, oder –
Fast wäre er gegen Scipio geprallt, der abrupt stehengeblieben war. Für einen Moment kämpfte Baturix mit der Balance; dann, als er sich wieder gefangen hatte, machte er sich daran, ihn zu überholen. Es war ja nicht das erste Mal, dass der Alte anhalten musste.
»Warte!«, zischte Scipio plötzlich.
Baturix gefror in seiner Bewegung. Die Dringlichkeit in der Stimme des anderen hatte ihn erschrocken.
»Riechst du das auch?«
Baturix schnüffelte. Der Ölgeruch hatte sich verstärkt, ebenso der nach Moder und Fäulnis. Sie mussten dem Nebel schon ziemlich nahe gekommen sein. Doch ansonsten …
»Rauch!« Scipio stieß einen Fluch aus, zischte: »Ich habe ihm ausdrücklich verboten, ein Feuer anzuzünden! Dieser Narr!« Er lief weiter, diesmal allerdings doppelt so schnell wie vorher.
Baturix prüfte die Luft noch einmal. Er konnte keinen Rauch erkennen. Entweder war die Nase des Alten um einiges besser als seine eigene oder … Er schüttelte den Kopf und machte sich daran, ihm zu folgen, bevor er ihn aus den Augen verlor.
Keine fünf Minuten später erreichten sie ihren Lagerplatz, in Dunkelheit und Nebel selbst dann kaum zu erkennen, wenn man sich die Ortsmarken genau eingeprägt hatte. Ein Lagerfeuer war nicht zu sehen. Scipio musste sich geirrt haben.
Dann roch er es auch, ziemlich deutlich sogar.
Und er hörte Stimmen.
Und das Prasseln eines Feuers.
Kurz darauf lagen sie zu dritt in einem Gebüsch am Rande einer Bodenwelle und beobachteten das Lager. Laut Magnus’ Bericht waren die Fomorer aufgetaucht, kurz nachdem Scipio und Baturix gegangen waren. Es war reiner Zufall, dass die Männer ihr Zelt in solcher Nähe zu ihrem eigenen aufgeschlagen hatten, und pures Glück, dass sie seitdem nicht über Magnus gestolpert waren. Dass sie ein Feuer angezündet hatten, zeigte, wie sicher die Fomorer sich im Nebel fühlten – oder wie unvorsichtig sie waren.
Es waren vier Mann, die sich, so Magnus, lange Zeit ziemlich offen in einer ihm unbekannten Sprache unterhalten hatten – eine Sprache, die Scipio inzwischen als Russisch identifiziert hatte. Dies war laut dem Waldläufer ein Beweis dafür, dass es tatsächlich Fomorer waren und keine ins Niemandsland verbannten Kelten. Die Schatten rekrutierten oft illegale Einwanderer aus dem Osten für ihre Zwecke.
Sie mussten sie ausschalten.
Da die Fomorer zu viert waren und sie nur zu dritt, war die beste Lösung die, die Scipio vorgeschlagen hatte, nämlich ihnen im Schlaf die Kehlen durchzuschneiden. Darauf warteten sie.
Bis jetzt machten die Fomorer jedoch nicht den Anschein, in der nächsten Zeit schlafen zu wollen; sie saßen um ihr Feuer herum, lachten und unterhielten sich und
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