Schattenkrieg
Germanen beschimpfte. Doch seit dem Ritual der Entwurzelung und der Heirat Alannas war er frei und galt als vollwertiger Kelte. Septus konnte ihn damit nicht reizen. Er schob dem Kameraden den Würfelbecher zu und meinte: »Jeder hat einmal Pech, Septus. Heute bist du einmal an der Reihe.«
»Heute bin ich an der Reihe? Pah! Heute ich, gestern Magnus und vorgestern Allurix. Der Einzige, der wirklich einmal an der Reihe wäre, bist du! Wann hast du das letzte Mal beim Würfeln verloren?«
»Am Dienstag vor zwei Wochen«, antwortete Baturix. Dass er da gerade einmal eine Handvoll Sesterzen verspielt hatte, ließ er besser unerwähnt.
»Am Dienstag vor zwei Wochen … Unfassbar, was für ein Glückspilz!« Septus schnaubte, während er den Würfelbecher schüttelte. »Aber eines Tages werde ich dich auch noch verlieren sehen – das verspreche ich dir!« Wuchtig knallte er den Becher auf den Tisch, hob ihn dann vorsichtig an und spähte darunter, ganz so, als ob er Angst hätte, dass sich das Ergebnis bei einem eiligeren Vorgehen verflüchtigen könnte. Ein Grinsen legte sich in sein Gesicht. »Vielleicht ist doch noch nicht aller Tage Abend!«
Baturix nahm seinen eigenen Becher und würfelte. Ein kurzer Blick darunter zeigte ihm einen Vierling mit Fünfern, was bei fünf Würfeln ein
sehr
hohes Ergebnis war. Er stieg hoch ein. Er hatte keine Angst, zu verlieren – er verlor nur äußerst selten, und selbst das würde ihn nicht stören. Septus hatte vorher die Wahrheit gesagt: Baturix hatte sich inzwischen schon so viele Freiwachen erwürfelt, dass er es sich leisten konnte, ein paar davon wieder zu verlieren. Deshalb war er auch nicht übermäßig schockiert, als Septus eine lange Reihe präsentierte und Baturix’ Einsatz kassierte. Er nickte anerkennend.
»Was sagst du nun, Germane?«, fragte Septus großspurig.
»Ich sage, dass das Spiel erst dann verloren ist, wenn es zu Ende ist.« Er warf die Würfel zurück in den Becher und schüttelte, als er das helle Läuten des Glöckchens hörte.
»Was ist?« Septus blickte überrascht auf, doch Baturix war bereits aufgesprungen. Septus hörte die Glocke nie beim ersten Mal.
In Cintorix’ Halle war es angenehm warm. Er besaß einen richtigen Kamin, doch das Feuer darin war heruntergebrannt, so dass Baturix für frisches Holz sorgen musste. Die Öllampen waren noch gut gefüllt. »Ihr wünscht, Herr?«
Der Fürst saß an seinem Stammplatz. Auf dem wuchtigen Lehnstuhl wirkte er mit dem ordentlich gescheitelten grauen Haar und dem für ihn so typischen Kinn- und Oberlippenbart sehr majestätisch. Seine Gesichtszüge waren weich, beinahe weiblich, und verleiteten dazu, ihn
völlig
falsch einzuschätzen.
»Hol mir Julius!«, befahl er nun mit leiser Stimme.
»Sehr wohl, Herr.« Baturix verbeugte sich kurz und zog sich dann zurück. Er griff nach einer Fackel und verließ eilig das Haus.
Draußen war inzwischen die Nacht hereingebrochen. Es war bitterkalt, und noch immer schneite es dicke Flocken vom Himmel. Abseits der Pfade lag der Schnee inzwischen oberschenkelhoch. Baturix watete zu einer Hütte nahebei, in der Cintorix’ Leibeigene zusammen mit seinem Vieh einquartiert waren. Cintorix lehnte es ab, sie in seinem Haus zu haben, und wollte sie nicht einmal als Diener, weshalb er seine Gardisten für diese Zwecke benutzte.
Drinnen wurde er von angenehm warmer Stallluft empfangen. Ein Mann schnarchte, und ein Pferd schnaubte leise, als er eintrat, doch sonst blieb es ruhig. Er folgte dem Schnarchen und weckte den dazugehörigen Leibeigenen. »Dein Herr benötigt Feuerholz!«, flüsterte er ihm zu, bevor er sich wieder leise aus der Hütte schlich. Anschließend machte er sich auf den Weg zu Julius’ Halle. Julius war ein Druide. Einen Leibeigenen zu ihm zu schicken kam nicht in Frage.
Auf dem Weg dorthin dachte Baturix an Septus’ Worte.
Baturix der Glückspilz!
Sein Name und der Begriff
Glückspilz
wurden hier in Allobroga unweigerlich gemeinsam ausgesprochen. Baturix’ Glück war geradezu sprichwörtlich geworden. Er schüttelte lächelnd den Kopf. Vor fünfzehn Jahren, als er noch in der Außenwelt gelebt und nichts von drinnen gewusst hatte, hätte er sich nicht träumen lassen, noch einmal in seinem Leben als Glückspilz bezeichnet zu werden.
Das ist Vergangenheit. Ein anderes Leben.
An Julius’ Halle angekommen, klopfte er an die Türe. Es dauerte eine Weile, bis sich dahinter etwas rührte. Ein Leibeigener öffnete, in eine Felldecke gehüllt, und
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