Schattenkrieger: Roman (German Edition)
wurde.
»Was Schlimmeres als die Dünung gibt es nicht«, fauchte der alte Seemann, der Jack hieß. Mit der linken Hand machte er eine abwehrende Geste. »Ich will dem Tod ins Gesicht sehen, aber nicht vom Meer verschluckt werden, wenn ich am wenigsten damit rechne.«
Dreifinger hob die verstümmelte Hand und kratzte sich an der Entzündung. »Die meisten hier haben überhaupt keine Erfahrungen mit der Seefahrt. Weißt du, was mir das sagt? Die brauchen uns für die gefährlichen Sachen. Für Sachen, die kein vernünftiger Mann tun würde. Wir kommen hier nicht lebend raus. Kein Einziger von uns.«
Cole räusperte sich laut genug, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Ihm war eine Idee gekommen. Sie war verrückt und gefährlich, manch einer hätte sie sogar dumm genannt, aber verzweifelte Zeiten erforderten verzweifelte Maßnahmen.
Wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, stehen harte Männer bereit und treffen sie. Das hatte er einmal in einem Buch gelesen, und es hatte in ihm eine Saite zum Klingen gebracht.
»Was passiert, sobald wir die Stelle erreicht haben, wo der Abbau beginnen soll?«, fragte er leise.
Soeman antwortete ihm. »Die Rote Beute wirft Anker. Wir setzen zu ihr über und laden die Ausrüstung aus. Das wird ein hartes Stück Arbeit.«
Cole flüsterte so leise, dass nur Soeman, Dreifinger und Jack ihn verstehen konnten. »Wie wäre es, wenn wir auf der Beute eine Ablenkung inszenieren? Soeman könnte einen Teil der Ausrüstung sabotieren und die Wache damit ablenken. Wenn wir die Soldaten von der Erlösung weglocken, dann könnten wir uns wieder an Bord schleichen und das Schiff stehlen, ehe sie bemerken, was passiert.«
Dreifinger grinste und zeigte ihm wieder die gelben Zähne. »Was ist mit der Besatzung? Glaubst du denn, wir vier können ein Dutzend Männer erledigen? Du machst dir was vor.«
»Wir sind ja nicht nur zu viert«, erwiderte Cole. »Ich kann bestimmt noch ein paar andere überzeugen, sich uns anzuschließen. Die Matrosen an Bord dieses Schiffs sind schlecht bewaffnet. Sie sind keine Krieger. Dagegen wissen die meisten anderen hier ganz genau, wie man kämpft.« Er deutete auf die schattenhaften Gestalten, die im Frachtraum verteilt waren. »Habe ich nicht recht, Dreifinger?«
»Ja, mit einem Messer arbeite ich wie ein Chirurg«, erwiderte der Sträfling. »Und wir haben hier noch eine Menge andere Mörder an Bord. Aber wir sind unbewaffnet. Die würden uns in Stücke schneiden.«
Cole hätte sich beinahe triumphierend an den Kopf getippt. Jetzt hatte er sie da, wo er sie haben wollte. »Zu der Bergbauausrüstung gehören Geräte, die man als Waffen benutzen kann. Spitzhacken, Hämmer und so weiter. Wenn die Wächter abgelenkt sind, bewaffnen wir die anderen Gefangenen, entern dieses Schiff und zwingen die Erlösung, Segel zu setzen, ehe die Gegner an Bord der Rote Beute bemerken, dass wir verschwunden sind.«
Nun schaltete sich der alte Jack ein. »Ich kann das Schiff befehligen, kein Problem. Die Rote Beute könnte uns nicht einholen. Aber wohin fahren wir?«
Cole zuckte mit den Achseln. »Das ist egal, solange wir nicht nach Dorminia segeln.«
Soeman schüttelte langsam den Kopf. »Das ist Wahnsinn. Wir sind besser dran, wenn wir in der Dünung arbeiten und auf einen Straferlass durch die Magistrate hoffen. Ich habe eine Familie, an die ich denken muss.«
Feigling, hätte Cole ihn beinahe angefaucht, doch er überwand sich und setzt eine mitleidsvolle Miene auf. »Ich verstehe deine Ängste, Soeman«, sagte er sanft. »Aber glaubst du denn, deine Familie will, dass du hier draußen ganz allein bei einem Unfall ums Leben kommst? Oder dass dich die Dünung verschluckt? Nein. Wenn schon, dann würden sie wollen, dass du im Kampf fällst.«
Auf einmal hatte er eine Eingebung. »Außerdem bist du krank. Du hast dir etwas Übles zugezogen, Soeman. Du kannst nicht riskieren, deine Angehörigen mit deiner Krankheit anzustecken. Es ist besser, wenn sie herausfinden, dass ihr geliebter Gatte und Vater die letzten Tage als freier Mann verbracht hat und mit treuen Gefährten über das Meer gesegelt ist, wie es die alten Geschichten erzählen.«
Der Ingenieur ließ die Schultern hängen. »Du hast recht«, räumte er ein. »Meine Familie soll stolz auf mich sein. Vielleicht … vielleicht können wir meiner Frau etwas Gold schicken. Nur damit sie nicht mehr auf der Straße arbeiten muss.« Seine Stimme klang sogar ein wenig hoffnungsvoll.
Cole lächelte. »Das werden wir
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