Schattenkrieger: Roman (German Edition)
niederging wie der Hammer auf den Amboss. Isaac rührte mit einem Stock den Eintopf um und summte leise. Es roch köstlich. Sogar Sasha hatte sich etwas beruhigt.
Der alte Hochländer war so hungrig, dass ihm fast übel wurde, aber er konnte sich nicht beklagen. Das Essen war eben erst fertig, wenn es gar war. Wenigstens heilte die Verletzung seines Magens ab. Er hatte sich sogar ohne Hilfe der anderen aufgerappelt und war auf den Hügel gehumpelt. Die Knie taten höllisch weh, und die zwei Minuten, die er gerade eben mit Pissen verbracht hatte, waren die schlimmsten seines Lebens gewesen, aber alles in allem ging es aufwärts.
Er räusperte sich und wandte sich an Sasha. »Tut mir leid, dass du deinen Freund verloren hast, Mädchen«, sagte er. Er hätte gern noch etwas hinzugefügt, aber ihm fiel nichts mehr ein, und so starrte er nur die vernarbten Hände an.
Sie antwortete nicht sofort. Dann blickte sie ihn über das Feuer hinweg an. »Ich habe einen Namen. Ich heiße Sasha. Nicht ›Mädchen‹ oder ›Kleine‹ oder ›Schlampe‹, wie mich dein flegelhafter Kumpan zu nennen pflegt.«
»Ich wollte dich nicht beleidigen«, entgegnete er. »Ich kann mir Namen schlecht merken, und mein Gedächtnis wird nicht besser, während ich älter werde. Außerdem ist für jemanden in meinem Alter so gut wie jeder ein Junge oder ein Mädchen.«
Sie dachte eine Weile darüber nach. »Wie alt bist du denn?«, fragte sie schließlich.
»Ich bin nicht ganz sicher. Den ersten Mann habe ich vor mehr als vierzig Jahren getötet. Damals war ich neun. Also müsste ich jetzt über fünfzig sein.«
Sie starrte ihn ungläubig an. »Mit neun Jahren hast du das erste Mal einen Feind getötet? Das ist doch lächerlich.«
»Tja, die Hohen Klippen waren damals eine wilde Gegend.« Er heftete den Blick auf den Topf, der auf dem Feuer blubberte. »Eine benachbarte Siedlung griff unser Dorf an. Unsere Krieger konnten die Feinde vertreiben, aber sie ließen einige Verwundete zurück. Einer von ihnen lag direkt vor mir im Schnee, er hatte eine Stichwunde in die Brust abbekommen und schluchzte wie ein kleines Kind. Mein Vater gab mir den Speer und sagte, es sei Zeit, ein Mann zu werden.« Er zuckte mit den Achseln. »Ich tat, was ich tun musste.«
»Du warst noch ein Kind.« Es widerte sie offenbar an.
Ja, das war ich. Aber in diesem Augenblick habe ich begriffen, wie es in der Welt zugeht, und ein klügerer Mann hätte viel mehr aus dieser Lektion gemacht als ich. Trotzdem, geschehen ist geschehen. Ich möchte wetten, dass auch deine Vergangenheit nicht nur eitel Sonnenschein war. Du schleppst ein paar ganz persönliche Gespenster mit dir herum, wenn ich mich nicht irre.
»So war es eben der Brauch«, erklärte Kayne. »So ist es heute noch, auch wenn die Gemarkungen nicht mehr so versessen auf Kriege sind wie früher. Die Bedrohung vom Teufelsgrat hat alle etwas vorsichtiger gemacht, und sie brennen nicht mehr so sehr darauf, sich gegenseitig zu töten. Meistens jedenfalls«, fügte er hinzu.
Isaac entschied, dass der Eintopf fertig war, und schob ihm den Kochtopf hinüber. »Nimm dir so viel, wie du willst. Du musst essen«, sagte er. »Um ehrlich zu sein, ich staune, dass du überlebt hast. Ihr Hochländer seid ein zähes Völkchen.«
Brodar Kayne antwortete nicht, denn er schaufelte bereits das Essen in sich hinein. Der heiße Eintopf lief ihm über das Kinn und verbrannte ihm die Finger, aber darauf achtete er nicht. Zwei Jahre lang hatte er als Flüchtling in den Hohen Klippen verbracht und nie gewusst, woher er die nächste Mahlzeit bekommen würde. In so einer Lage aß man, was man eben in die Finger bekam, und so schnell man nur konnte. Manchmal hatte er sogar die eigene Pisse getrunken, und ihm war durchaus bewusst, wie schlimm es um einen stand, wenn man sich auf diese Weise behelfen musste.
Die anderen beiden beobachteten ihn schweigend. Kaum dass er sich satt gegessen hatte, gewann die Schwäche wieder die Oberhand. Kurz bevor er einnickte, hörte er Sasha reden und merkte auf.
»Du hast mir noch nicht verraten, was du mit Jerek zusammen in Dorminia zu suchen hattest.«
Er regte sich und blinzelte einige Male, um die Schläfrigkeit abzuschütteln. Schließlich brach er das unbehagliche Schweigen. »Wir waren auf der Flucht«, sagte er. »Der Schamane hatte ein Kopfgeld auf uns ausgesetzt. Besonders auf mich. Er würde nichts lieber tun, als meinen hässlichen Kopf vor dem Großen Langhaus auf einen Speer zu
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