Schattenkuss
lassen.
22
Beim Frühstück am nächsten Morgen zählte sie die Mückenstiche. Zwölf an den Armen. Siebzehn an den Beinen. Es sah aus, als habe sie Beulenpest, und juckte wie blöd. Sie beherrschte sich nur mühsam, während sie auf Steffi wartete, die in der Apotheke Mückensalbe besorgte.
Trotz der Mückenattacken war der Abend schön gewesen. Sie hatten Volleyball gespielt und Kartoffelsalat und Würstchen gegessen, die Rebecca mitgebracht hatte, und dazu eine Flasche Rotwein geleert. Sie waren geschwommen und hatten sich anschließend am Lagerfeuer aufgewärmt. Florian hatte auf seiner Gitarre gespielt und Daniel hatte dazu gesungen. Ziemlich cool sogar. Ein echt schöner Abend. Bis auf die Mücken.
Lena verlor die Beherrschung und kratzte am Schienbein, bis es blutig war. Wo blieb Steffi? So nett das auch war, irgendwie war Lena dieser Service ihrer Mutter unheimlich. Hatte sie ein schlechtes Gewissen oder weshalb machte sie seit gestern so auf Fürsorge und Harmonie? Doch nicht wegen dieser dämlichen Bemerkung, Lena solle sich einen netten Freund suchen?
Das Handy, das auf dem Küchentisch lag, begann zu klingeln. Im Display erschien Bennos Nummer, was aber ja nicht unbedingt bedeuten musste, dass auch er dran war. Zögernd meldete Lena sich. Doch ihre Angst erwies sich als unberechtigt. Seine Stimme klang warm. »Hallo Liebes. Gut geschlafen?«
»Wie ein Stein.« Das war eine ehrliche Antwort. »Können wir uns heute treffen?«
»Deswegen rufe ich an. Ich muss nach Salzburg. Wir machen dort die Innenausstattung eines Hotels und es gibt Probleme. Hast du Lust mitzukommen?«
Lena war einen Moment lang sprachlos. Ein Ausflug nach Salzburg … mit Benno. Wow! Sie wusste zwar noch nicht, wie sie Steffi das erklären sollte, aber irgendwas würde ihr schon einfallen. »Eigentlich schon. Aber du musst doch arbeiten.«
»Das wird nicht ewig dauern. Du kannst dir die Stadt ansehen und abends treffen wir uns und gehen schön essen und danach …«
Weshalb zögerte er? »Und danach …?« Jetzt, als sie sein Zögern wiederholte, ahnte sie, was er wollte.
»Um ehrlich zu sein, ich muss zwei Tage in Salzburg bleiben.«
Hoppla. Das war vielleicht doch ein wenig schnell. Sie kannten sich gerade mal ein paar Tage und außerdem würde sie das Steffi niemals erklären können. Außer mit einer faustdicken Lüge. Und selbst die würde Steffi ihr vermutlich nicht abnehmen. »Und als du das Hotelzimmer gebucht hast, hast du dir gedacht, wie schön es wäre, dort mit mir Händchen zu halten.«
Lena wusste selbst nicht, weshalb sie so sauer reagierte. Vielleicht, weil sie sich überrumpelt fühlte, vielleicht auch, weil sie sich gerade ziemlich kindisch vorkam. Zu jung, um selbst entscheiden zu können, wann sie mit wem nach Salzburg fuhr. Und irgendwie ärgerte sie sich auch über sich, weil er nun sicher dachte, sie sei zickig . Irgendwann, wenn du es auch willst. Und nun stellte er die Weichen.
»An Händchenhalten dachte ich eigentlich weniger.« Ein leises Lachen klang durchs Telefon. »Bin ich zu ungeduldig?«
»Nee. Ich bin nur nicht leichtsinnig genug.« Huch, das hatte ziemlich patzig geklungen. »Sorry. Aber …« Sollte sie ihm jetzt sagen, dass sie noch nie …? Das konnte er sich doch denken. »Du hast gesagt: ›Irgendwann, wenn ich es auch will …‹, und Irgendwann ist noch nicht jetzt.«
Die Küchentür wurde geöffnet. Steffi kam herein und legte die Packung mit der Mückensalbe auf den Tisch.
»Gut. Dann sehen wir uns in zwei Tagen.« Auf einmal war das Gespräch weg. Hatte er aufgelegt oder hatte er kein Netz mehr? Plötzlich saß ein Kloß in Lenas Hals. Sie hätte heulen können. Sicher rief er gleich wieder an.
»Lena? Was ist denn?« Steffi guckte besorgt.
»Alles im grünen Bereich.« Sie steckte das Handy ein und ging in ihr Zimmer. Keine zehn Sekunden später kam ihre Mutter herein, die Mückensalbe in der Hand. »Ist wirklich alles in Ordnung? Du siehst aus, als würdest du jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.«
»Quatsch! Mir geht es gut. Echt! Und danke für die Salbe.« Nun spürte sie das Jucken wieder und begann, jeden Mückenstich einzeln und so sorgfältig einzureiben, als sei das eine wissenschaftliche Arbeit.
Benno rief nicht an. Nicht nach fünf Minuten, nicht nach einer Stunde, nicht bis Mittag. Er war sauer und enttäuscht. Mehrmals ertappte Lena sich dabei, wie sie begann, seine Nummer zu wählen. Doch nicht sie hatte das Gespräch beendet, sondern er. Also war auch
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