Schattenlord 12 – Lied der sieben Winde
dann stellvertretend der Ausgleich für alle Scheißtage, die ich je hatte.
Schließlich gab Fokke sich zufrieden mit ihrer Antwort; es war diesmal ersichtlich nicht so gelaufen, wie er geplant hatte. Laura war jetzt auch bedeutend ruhiger. Sie hatte, was sie persönlich betraf, das Schlimmste hinter sich, mehr gab es da nicht. Bereits Alberich hatte festgestellt, wie brav und langweilig ihr Leben gewesen war ... von kleinen »Ausrutschern« abgesehen, die aber vergleichsweise harmlos waren.
Sie hätten sich eben Zoe aussuchen sollen, die schon als Model in der Welt herumgejettet war, als sie erst fünfzehn war, und die unglaublichsten Dinge erlebt hatte. Nicht selbst getan, aber eben erlebt. Sie könnte ganze Bände damit füllen, die alle auf der Bestsellerliste stünden, denn sie war eine gute Erzählerin dazu. Videobuch – das wäre es. Laura hatte das schon öfter festgestellt, vor allem, als sie hier gestrandet waren.
»An wen denkst du?«, donnerte eine böse Stimme in ihren Gehörgang, und sie hörte es im Ohr klingeln.
»Diese Frage muss ich nicht beantworten«, sagte sie und lächelte. Seltsam, wie tröstlich einfach nur der Gedanke an Zoe war. Und wie stärkend. »Aber du bist jetzt wieder dran mit der Antwort.«
»Du bist schon so weit?«
»Mehr denn je. Ich habe es dir vorhin gesagt.« Vorhin – tja, inzwischen mussten wieder eine Menge Stunden vergangen sein. Der Schlafmangel machte sich allmählich bemerkbar. Das Nickerchen hatte nur kurzfristige Linderung gebracht. Kein Wunder, Laura wurde an den Rand ihrer Kräfte gebracht, mental, aber auch physisch, denn sie zweifelte nicht daran, dass sie Fokke weiterhin nährte. Er kam ihr viel aufgedunsener vor als sonst.
Wahrscheinlich hatte er damit gerechnet, dass er sie bald brechen würde. Weil eben alle vorher durch ihn gebrochen worden waren. Aber da kannte er Laura schlecht. Das war auch der Grund, weswegen Zoe und sie Freundinnen waren. Sie waren beide stark und gaben niemals auf.
Hoffentlich geht es ihr gut.
In jedem Fall war sie am Leben, denn sonst wäre ihre Seele hier an Bord. Das war sehr beruhigend für Laura. Sie und ihr Prinz ... unglaublich, was für eine Märchengeschichte. Nur dass die beiden leider nicht zueinanderfinden konnten und durften.
»Ich verliere die Geduld!«, schrie Fokke jetzt. Mit seinem Hieb auf die Tischplatte hätte er beinahe die Pfeife zerbrochen.
Sehr gut. Nun hatte sie ihn endlich da, wo sie ihn haben wollte. Er verlor zusehends die Kontrolle. Und das nur, weil sie wieder einmal abgelenkt war. Typisch. Das hatte schon Zoe oft in den Wahnsinn getrieben; »Träumerle« war dabei noch der schmeichelhafteste Ausdruck gewesen.
Angst brauchte sie nicht zu haben, solange das Duell noch lief. Er durfte ihr nichts antun, so waren die Regeln. Diese Dinge waren in den Anderswelten streng geregelt, und das war gut so. Ansonsten könnten magische Wesen einfach tun, was sie wollten, und das hätte nicht nur permanente Anarchie und Chaos bedeutet, sondern auch den Untergang. Entfesselte Magie war nicht mehr kontrollierbar. Das hatte Laura in den vergangenen Wochen gelernt.
Sie beobachtete ihn, während sie weiter ihren Gedanken nachhing. Sie ließ sie laufen, ließ es geschehen, setzte sich nicht selbst unter Druck und ließ sich nicht unter Druck setzen. Nur so konnte die Abstimmung mit Aruns Schiff funktionieren. Bestimmt gingen jede Menge Strömungen von hier aus, und der Korsar würde die richtigen Schlüsse ziehen und wissen, wann er sich zu zeigen hatte. Je mehr Fokke die Beherrschung verlor, desto mehr schleuderte er an Energien hinaus, die andere auffangen konnten.
Ein rötliches Flackern erschien in der Finsternis der unsichtbaren Augenhöhlen. »Was hast du vor?«, fragte der Untote leise.
»Das muss ich nicht beantworten, aber in dem Fall mache ich eine Ausnahme.« Sie hoffte, dass ihr Gesicht die Entschlossenheit zeigte, die sie empfand, und dass sich in ihren Augen ein Funke jenes Hasses widerspiegelte, den sie empfand. Sie bemühte sich, ihrer Stimme das nötige Timbre zu verleihen. »Dich zu vernichten, wie ich es dir gesagt habe. Und je länger das hier dauert, desto mehr erkenne ich, dass deine Stunden gezählt sind.« Sie tippte auf das Papier. »Ich komme dem Ziel immer näher.«
Fokke griff nach einer Bartsträhne, die am Ende mit einem Goldring zusammengefasst war, und drehte sie. Sie hatte ihn tatsächlich verunsichert, aber nun fand er wieder zu alter Form zurück. »Da sei mal nicht so sicher,
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