Schattenlord 2 - Stadt der goldenen Türme
ihn an sich zu ziehen und seinen köstlichen Inhalt den anderen zu verwehren. Er fühlte Wut hochsteigen. Warum sollte er teilen? Er war gewiss der Stärkste von ihnen. Mit Leichtigkeit hätte er sie besiegen können, einen nach dem anderen ...
Was geschieht mit mir?, dachte er entsetzt. Reichen denn die wenigen Tage in dieser seltsamen Umgebung, um die Tünche der Zivilisation abzuwaschen?
Er schöpfte Wasser aus dem Eimer, trank langsam und träufelte dann der völlig entkräfteten Anais Flüssigkeit über die spröden Lippen. Er half seinen Begleitern, wo es nur ging.
Karen unterstützte ihn. Die Gesichtshaut der Liechtensteinerin war von Hitzeblasen bedeckt. Doch sie klagte nicht. Sie strahlte trotz ihres jugendlichen Alters von vielleicht zweiundzwanzig Jahren Kraft und Ruhe aus.
»Wir halten nicht mehr lange durch«, flüsterte sie, während sie Frans Wasser einflößte. »Wir müssen unbedingt etwas unternehmen.«
»Ein Fluchtversuch ist von vornherein zum Scheitern verurteilt«, widersprach Finn. »Sieh sie dir doch an! Belorion und seine Spießgesellen mögen genauso wenig wie wir geschlafen haben; aber sie wirken frisch und ausgeruht. Sie lassen uns kaum einmal aus den Augen.« Er nahm einen Schluck. Der Eimer war fast leer. »Selbst wenn wir es schafften, ihnen zu entkommen - wohin sollten wir uns wenden?«
»Die Stadt der goldenen Türme muss bereits sehr nah sein. Andernfalls würde es diesen Außenposten nicht geben.« Karen sah sich um. »Ich weiß, dass es angesichts unserer Gegner hirnrissig klingt, Fluchtpläne zu wälzen. Aber es schadet nicht, sich ein paar Gedanken zu machen. Für den Fall der Fälle ...«
Rudy, Anais und Frans beteiligten sich nicht an der Unterhaltung. Nun, da sie ihre karge Wasserration erhalten hatten, lehnten sie sich gegen die kühlende Wand des Turms und schliefen augenblicklich ein.
Finn tunkte einen Zipfel seines Hemds in den Bodensatz des Wassers und wischte damit den Staub aus Karens Gesicht. Ihre Blasen waren hart geworden. Versuchsweise kratzte er mit seinen rissig gewordenen Fingernägeln eine von ihnen auf. Sie platzte; eine Mischung aus Eiter und Wasser drang hervor.
»Ich muss sie allesamt aufstechen«, sagte er. »Andernfalls entzünden sie sich noch mehr ... Wie ist das geschehen?«
»Ruslam«, sagte sie kurz angebunden und nickte in Richtung des klein gewachsenen Sklavenhändlers mit dem ausgeprägten Bauchansatz. »Er hat sich einen Spaß daraus gemacht, mir mit seinem Messer kleine Stiche im Gesicht zuzufügen und ein seltsames Gebräu in die Wunden zu streuen. Er meinte, dass Sklavinnen in der Stadt nicht unbedingt gut aussehen müssen. Es reichte, wenn sie zwei Hände zum Zupacken hätten. Ich könnte ... ich könnte ...«
»Ich weiß«, sagte Finn besänftigend und hielt ihre Armgelenke fest. »Ich verspreche dir: Sie werden alle ihre gerechte Strafe erhalten. Aber nicht hier, nicht jetzt.«
»Wo denn dann?« Sie schüttelte ihn unwirsch ab.
»In der Stadt. Überleg doch mal: Sie verspricht uns Sicherheit vor Witterungseinflüssen. Nahrung. Informationsquellen. Hier draußen hingegen wären wir verloren, sollte uns wider Erwarten die Flucht gelingen.«
Er brach weitere Blasen auf. Karen ließ es geschehen, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Wir können auf die anderen nicht zählen«, sagte sie und deutete auf die Schlafenden. »Wir werden auf uns allein gestellt sein, sollte sich eine Möglichkeit zur Flucht ergeben.«
»Wir werden sehen.« Finn reinigte Karens Gesicht vom Eiter und wusch anschließend seine Hände. »Wir müssen uns auf unser Glück verlassen.«
»Glück?« Sie lachte bitter. »Das hat uns in jenem Moment verlassen, da wir in Nassau an Bord dieses verfluchten Flugzeugs gegangen sind.«
»Ich bin Ire.« Finn bemühte sich um einen möglichst überzeugenden Tonfall. »Ich bin unter einem besonderen Stern geboren. Du wirst sehen: Alles wendet sich noch zum Guten.«
Die Sklavenhändler erhoben sich geräuschvoll. Belorion und der Beleibte reichten sich die Hände und verbeugten sich respektvoll voreinander. Dann zog der Wajun Gina mit sich und schubste sie in Finns Richtung. Sie stolperte und stürzte in seine Arme.
»Verabschiedet euch voneinander«, sagte Belorion. »Ihr geht hiermit mit Ausnahme der Jungfrau in das Eigentum von Cronim dem Hübschen über.«
»Nein!«, rief Gina, »Du darfst das nicht zulassen, Finn! Bitte! Sie dürfen uns nicht voneinander trennen!«
Finns Gedanken überschlugen sich. Ringsum standen
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