Schattenlord 2 - Stadt der goldenen Türme
hat sich ein brennendes Holzscheit geschnappt und ist davongelaufen«, sagte sie stockend, zog sich in den Schutz der Arme ihrer Mutter zurück und begann, herzzerreißend zu schluchzen.
Laura griff nach dem Holzspieß, beäugte das Fleisch misstrauisch und kostete vorsichtig. Es schmeckte nach ... nichts.
»Wurm à la carte«, sagte Milton augenzwinkernd und nahm ebenfalls einen Bissen. »Sanft und mit viel Geduld geräuchert, mit herb-exotischen Gewürzen schmackhaft gemacht, die aus der Bordküche der weltberühmten Fluglinie Bahamasair stammen. Dazu kredenzt der chef de la cuisine kristallklares und womöglich mineralhältiges Wasser aus unergründlichen Tiefen ...«
»Du bringst mich nicht zum Lachen«, sagte Laura und grinste säuerlich. »Das Zeugs schmeckt wie Gummi, und es hilft nicht sonderlich, wenn du mir auch noch unter die Nase bindest, womit ich meinen Magen fülle.«
»Ach was, wir von den Bahamas sind nicht zimperlich.« Milt ließ es sich schmecken. »Seien wir froh, dass wir etwas Festes zum Beißen zwischen den Zähnen haben.«
»Ich hoffe allerdings, dass mich meine nächste Mahlzeit nicht so traurig anstarrt wie diese da.« Laura legte den Spieß beiseite. Der Wurm, den sie eben zur Hälfte verspeist hatte, hatte mithilfe seiner Mimikry-Fähigkeiten im Augenblick seines Todes einen anklagenden »Gesichtsausdruck« angenommen.
Der Morgen graute. Einige Überlebende schliefen, andere hatten sich zu dieser ersten warmen Mahlzeit seit Tagen zusammengefunden. Andreas und Jack brieten weitere Würmer und schnitten die Fleischteile in Streifen, um sie dann über kreuzförmig gegeneinandergelehnten Holzbalken zu räuchern.
»Heute weht ein kräftiger Wind«, sagte Milt nachdenklich. Er wehrte mehrere Fliegen ab, die sich, von den ersten Sonnenstrahlen aus ihrer Nachtstarre geweckt, auf seinem Gesicht niederlassen wollten.
»Das bedeutet?«
»Dass wir uns so rasch wie möglich daranmachen sollten, Najids Spuren zu finden.« Er gähnte und streckte sich. »Ich habe mich unmittelbar nach geschlagener Schlacht im näheren Umfeld des Hauses umgesehen. Unser kleiner Freund ist in Richtung aufgehender Sonne geflüchtet. Er wird mittlerweile einen gehörigen Vorsprung herausgeholt haben - so er bei Kräften ist. Was nicht unbedingt zutreffen muss. Najid scheint mir für einen Wüstenbewohner nicht sonderlich widerstandsfähig zu sein. Er gibt sich härter, als er eigentlich ist.«
»Er besitzt weitaus mehr Erfahrung mit dieser Umgebung, als wir sie jemals sammeln könnten.«
»Mag sein. Aber er musste auf Teufel komm raus davonlaufen, womöglich verfolgt von den Würmern. Vielleicht brät er irgendwo im Wüstensand in der Sonne, völlig erschöpft, und wünscht sich, niemals davongelaufen zu sein.«
Laura musste Milt recht geben. Najid war davongeeilt, als der Ausgang des Kampfs gegen die Würmer völlig ungewiss gewesen war. Er war ein unkalkulierbares Risiko eingegangen, ohne Nahrung und mit wahrscheinlich nur wenig Wasser in die Wüste hinauszulaufen.
Laura fühlte sich unendlich müde. Ihre Psyche hatte einen Knacks erhalten. In dieser völlig fremden und fremdartigen Umgebung gab es zu viele Unwägbarkeiten, zu viele Wenn und Aber. Sie waren wieder einmal gestrandet, und sie drohten das einzige Ziel, die Stadt der goldenen Türme, aus ihren Augen zu verlieren. Cedric, der Mann im Hawaiihemd, hatte Handyaufnahmen herumgereicht, die das Ende der Wüste gezeigt hatten. Und nun schienen sie weiter davon entfernt denn je. Gab es in diesem Land nichts, was kein Trug war?
Wo war Cedric überhaupt? Laura sah sich um. Seit dem Aufbruch hielt er sich im Hintergrund. Sie entdeckte ihn ein Stück weitab, schlafend. Für einen Moment war sie versucht, zu ihm zu gehen, unterließ es dann aber. Wenn er sich unterhalten wollte, würde er schon kommen. Laura wandte sich wieder ihren Überlegungen zu.
Hatte Najid sie bewusst in eine Falle geführt, oder hatte er während des Angriffs der Würmer die Gunst der Stunde genutzt? Befand sich die Stadt denn tatsächlich in jener Himmelsrichtung, die der Sklavenhändler angegeben hatte?
Milton stand auf und blieb wackelig auf den Beinen. »Ich mache einen kleinen Spaziergang. Kommst du mit?«, fragte er.
»Wohin? Und was ist mit den Würmern?«
»Sie sind nachtaktiv. Andernfalls wären sie bereits gestern, als wir die Ruinenstadt betraten, über uns hergefallen.« Er griff nach mehreren armlangen Holzspänen und zündete den ersten an. »Wir nehmen die da zur
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