Schattenlord 7 - Das blaue Mal
undefinierbarer Form, der eben aus dem Rahmen stieg und mit stämmig wirkenden Insektenbeinchen auf der grob verputzten Mauer nach Halt suchte.
Lirla stieß einen Fluch aus. Sie sprang auf, eilte in eine Nebenkammer, kehrte mit einem Besen zurück und hieb mit aller Wucht auf das krabbelnde Etwas ein.
Ein zorniges Brummen erklang. Das Tier wollte flüchten. Es bewegte sich rasch; viel zu rasch für Zoes Geschmack. Doch Lirla war ihrem Opfer ebenbürtig, in Geschwindigkeit und in ihrer Reaktion. Die Schläge kamen rasch und rascher, und irgendwann einmal erwischte sie den Krabbler.
Das Tier, eine Art Schabe mit dicker Chitinplatte, aus der sechs Beine hervorlugten, gab einen quietschenden Laut von sich. Es unternahm einen Fluchtversuch, obwohl bereits grüne Flüssigkeit aus der zerfetzten Hartschale hervordrang. Es wandte sich nach links und nach rechts, schlug Haken wie ein Hase - und konnte seinem Schicksal doch nicht entkommen.
Ein letzter Hieb tötete das Insekt. Es fiel zu Boden. Lirla stieg auf das zappelnde Ding, ohne auf ihr Schuhwerk aus feinem Leder Rücksicht zu nehmen. Es knackte vernehmlich. Seitlich der Sohle ihres rechten Fußes zeigte sich pastöser Brei.
»Diese Viecher sind die größte Plage des Palastes«, sagte Lirla. Angewidert stellte sie den Besen in die Ecke und läutete nach einer Dienerin.
Aramie betrat kurz darauf den Raum. Die Syndicatin zog ihre Schuhe aus und schleuderte sie wutentbrannt in Richtung der dürren Frau - und traf mit einer Präzision, die nichts mehr mit Glück zu tun haben konnte.
Lirla begann, lauthals zu schimpfen. Je länger es dauerte, desto lauter wurde sie, desto vulgärer wurde ihre Ausdrucksweise. Die Syndicatin, diese außergewöhnliche Schönheit, der wohl die meisten Männer der Menschenwelt verfallen wären, zeigte ihr wahres Gesicht. Eines, wie es grässlicher nicht sein sollte. Eleganz und Noblesse machten einer sonderbaren Derbheit Platz, die feinen Gesichtszüge verschwanden hinter Runzeln und Zornesfalten. Jedes Wort, das Lirla sagte, zerstörte die Illusion ein klein wenig mehr. Bald blieb nur noch der Eindruck einer verbitterten, geifernden, unbeherrschten Frau zurück, der man tunlichst aus dem Weg ging.
»Genug!«, rief Zoe, erstaunt über ihren eigenen Mut. Die Erfahrungen der letzten Tage hätten sie klüger machen sollen. »Aramie ist meine persönliche Dienerin! Es liegt an mir, sie zur Rechenschaft zu ziehen.«
»Halt du dich da gefälligst raus, Gesandte!«, fuhr Lirla sie an.
»Es obliegt meiner Verantwortung, mich um die Belange der Dienerschaft zu kümmern. War es nicht das, was du mich eben hast lehren wollen, Syndicatin? Ist dies nicht Bestandteil meiner Aufgaben?«
Lirla hielt unvermutet inne. Ihr Zorn verschwand so rasch, wie er gekommen war. »Du lernst verdammt schnell, Herrscherin. Das mag für die Priesterschaft ein Glücksfall sein. Ich aber mag keine allzu klugen Frauen.«
»Ich habe mich mit meiner Rolle abgefunden, Lirla. Ich möchte sie so gut wie möglich ausfüllen.«
»Warum?«
»Aus Selbstschutz. Weil ich überleben will. Je besser ich spiele, desto geringer die Chance, dass man mich durch eine andere ersetzt.«
»Was für ein charmanter Gedanke.« Lirla lächelte honigsüß. »Du bist wirklich eine unübertroffene Optimistin.«
»Danke. Würdest du mich nun bitte mit meiner Dienerin allein lassen?«
Die Syndicatin warf Aramie einen bitterbösen Blick zu und fügte sich dann. »Wir setzen den Unterricht in einer Stunde fort. Ich erwarte, dass du diese da für ihre Nachlässigkeiten angemessen bestrafst.«
Lirla drehte sich um und verließ das Lehrzimmer auf nackten Sohlen, elegant wie eine Gottheit einherschreitend, ohne sich noch einmal umzudrehen, mit im Takt ihrer Schritte wiegenden Hüften, so voll Grazie, dass Zoe nichts als Bewunderung empfinden konnte.
Aramie ließ sich auf einem Stuhl nieder. Zoe betrachtete sie von der Seite. Es war kaum noch etwas von ihr zu sehen. Sie verschmolz mit dem Möbel, wurde zu einem unscheinbaren Teil des unscheinbaren Einrichtungsstücks.
»Es ist gut«, sagte Zoe besänftigend und legte der Dienerin ihre Rechte auf die Schulter.
Aramie zuckte leicht zusammen, gut spürbar unter dem dünnen Stoff, ließ die Berührung dann aber geschehen.
»Danke für deine Fürsorge, Herrin«, flüsterte die Dienerin. »Aber sie ist vergeudet. Du verschaffst mir lediglich einen Aufschub. Lirla wird mich so oder so bestrafen. Später, wenn ich meinen Dienst hier beendet
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