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Schattenlord 7 - Das blaue Mal

Titel: Schattenlord 7 - Das blaue Mal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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da, mit bebendem Körper, und sprach jene Worte nach, die ihre Lehrerin ihr vorbetete. Worte, in denen die Götter um Vergebung ersucht wurden. Thàra, Godefrome, Leylic und Paredagh, die Vier Wegweisenden Götter, die nicht nur für die Himmelsrichtungen standen, sondern auch für jene Richtungen, in die sich ein Elf von reiner Art entwickeln sollte.
    Die Hauptgötter hatten ein gutes Dutzend Sprösslinge, die für alle Ewigkeit jung gehalten wurden und allesamt aus anderen Lebenssphären hierher entführt und adoptiert worden waren. Sie beherrschten seltene magische Gaben, die sie ausschließlich zum Wohle der Stadt einsetzten. Zoe musste ihre Namen wiederholen, mehrmals hintereinander, und sie anflehen, nicht in das Glühende Geflecht gesteckt zu werden, vor dem sich selbst die Götter fürchteten.
    Extevirra nannte dreihundert weitere Namen. Jedes dieser untergeordneten Wesen stand für ein Viertel der Stadt Dar Anuin, ein Lebenselement, ein einschneidendes Ereignis im Laufe ihrer Geschichte oder einfach nur für einen prägnanten Stein, eine besondere Frucht oder ein Kunstwerk, das man im Inneren des Kraters fand.
    Unter anderen Umständen hätte Zoe womöglich gelacht, als sie mehr als sechzig Namen aufzählte, die zur eisernen Reserve dieses Götterfundus gehörten. Diese Wesen wurden stets dann herangezogen, wenn etwas geschah, was sich die Elfen trotz ihrer gut entwickelten Sinne nicht erklären konnten. Dann zogen sie zum Beispiel Paraselque, das Geschöpf aus Haut und Haar, wie ein Kaninchen aus dem Zylinder eines Zauberers. Paraselque wurde kurzerhand zum mildtätigen Gott mit den unzähligen Armen erklärt, der während einer der seltenen Überschwemmungen im Kraterboden das Abflusssystem wundersamerweise von allen Verstopfungen gereinigt hatte.
    Oh ja: Es hätte viel zu lachen gegeben. Über die Gutgläubigkeit der Bewohner Dar Anuins. Über ihre Naivität und darüber, wie einfach es die Priester eigentlich hatten - und wie leicht sie es sich machten.
    Doch stattdessen lag Zoe auf dem Boden, das Gesicht samt Maske fest gegen den kalten Stein gedrückt, leidend und darauf wartend, dass die Sgàile endlich Erbarmen mit ihr zeigte.
    Irgendwann endete es, und Zoe durfte sich erheben. Um den Triumph in Extevirras Augen zu sehen. Die Frau war hochgradig erregt, auf eine unappetitliche Art und Weise. Sie murmelte sinnentleerte Sprüche und Gebete, die hauptsächlich eine Gottheit der Rache zum Inhalt hatten. Ihre Blicke verklärten sich. Die religiöse Fanatikerin verlor sich in innerer Betrachtung, als gäbe es ihr höchste Befriedigung, eine Zweiflerin bestraft zu sehen.
    Zoe kam auf die Beine. Sie atmete ruhig durch und schüttelte die schmerzenden, völlig verkrampften Glieder aus. Sie versuchte, an nichts zu denken, schon gar nicht an den Wahnsinn, der sie umgab. Extevirra war verrückt und verblendet. In ihrem eingeschränkten Universum hatten bloß Götter und ihre Wunder wirkenden Werke Platz. Immer noch plapperte sie vor sich hin, immer rascher stieß sie sinnentleerte Worte aus.
    Die Lehrerin beugte ihren Kopf weit nach hinten. Sie stieß einen Schrei der Ekstase aus und blieb dann bewegungslos sitzen, völlig angespannt und mit zitternden Gliedern.
    Zoe wagte es nach wie vor nicht, einen Mucks von sich zu geben. Es schien, als wartete die Maske nur auf eine weitere Gelegenheit, sie abzustrafen.
    Extevirra erhob sich. Sie stand auf wackligen Beinen da und bemühte sich, so zu wirken, als wäre nichts geschehen. »Der Unterricht ist für heute beendet«, sagte sie und verließ den Raum mit gestelzten Schritten.
    Zoe blieb zurück. Sie rubbelte nervös über das Blaue Mal, bis sie die Maske durch weitere Schmerzimpulse wissen ließ, dass sie ein derartiges Verhalten tunlichst zu unterlassen hatte.
    Tränen traten in ihre Augen und verklärten ihre Sicht. Niemals zuvor hatte sie eine derartige Verzweiflung gespürt. Doch selbst die Trauer wurde ihr verwehrt. Die Maske ließ sie spüren, dass sie ihrer Trägerin das Weinen verbot.

    Es muss wohl ganz schlimm werden, bevor es wieder besser wird, dachte Zoe. Sie genoss dieses besondere Glücksgefühl, endlich wieder einmal eigenbestimmte Entscheidungen zu treffen.
    Sie durfte nächtens durch die Räume des Palastes streifen, von einem Zimmer zum nächsten, völlig ungestört von Wächtern oder Dienerinnen. Die Sgàile gewährte ihr völlige Freiheit, und in manchen Situationen meinte Zoe zu spüren, dass sie die Maske sogar animierte, diesen oder jenen

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