Schattenmacht
übergab es an Matt. »Pass gut auf Frost auf… ich hatte es zwar nur kurz, aber es hat mir gute Dienste geleistet.«
Die beiden tauschten einen letzten Blick. Dann wandte Matt sich ab und ging zurück zum Lager.
Jamie sah zu dem Adler hinüber, der seine Federn schüttelte. »Welche Richtung?«, rief er ihm zu.
Der Adler flog ein kurzes Stück zum nächsten Baum und dann weiter zu einem, der etwas vom Flussufer entfernt stand. Die Botschaft war eindeutig. Er wollte, dass Jamie den Fluss durchschwamm. Er war nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Der Fluss war tief und kalt und die Strömung sehr stark. Aber anscheinend hatte er keine andere Wahl.
»Wie du meinst…« Er rutschte die Böschung hinunter und watete ins Wasser.
Als er die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hatte, wurde ihm klar, dass die Strömung zu stark war und er es nicht schaffen würde. Der Fluss nahm ihn mit. Die Strömung trieb ihn zwischen der Uferböschung hindurch, die immer höher wurde und irgendwann kein Licht mehr hindurchließ. Noch schlimmer war, dass seine Kleider ihn unter Wasser zu ziehen drohten. Jamie geriet in Panik. Er drehte sich um, in der Hoffnung, Matt zu Hilfe rufen zu können. Aber Matt war weit weg, und in dem Moment, in dem er den Mund öffnete, schluckte er Wasser. Verzweifelt strampelte er mit Armen und Beinen. Wenn es ihm nicht gelang, das Ufer zu erreichen oder sich an etwas festzuhalten, würde er untergehen. Das war doch verrückt. Hatte er das alles durchgemacht, um jetzt zu ertrinken?
Der Adler beobachtete ihn immer noch. Er hockte jetzt auf einem anderen Baum. Jamie erhaschte einen Blick auf ihn, und ihm wurde bewusst, dass das mit voller Absicht geschehen war. Ihm war eine Falle gestellt worden, und er war hineingetappt wie ein Trottel. Das eiskalte Wasser schäumte und gluckste um ihn herum. Er ging unter. Er setzte jedoch seine ganze Kraft ein und schaffte es, wieder an die Oberfläche zu kommen und Luft zu schnappen. Vor sich sah er eine Höhle, ein gezacktes Loch in einem Felsen. Das Wasser strudelte hinein, und er wurde mitgerissen.
Er brachte einen letzten Schrei hervor, und dann wurde er in absolute Dunkelheit getragen. Zur gleichen Zeit ließ ihn ein starker Sog wieder untergehen – und diesmal, das spürte Jamie, würde er nicht mehr hochkommen. Wasser drang in seine Nase und seinen Mund. Er wurde immer wieder herumgewirbelt. Wie hatte er das zulassen können? Das würde er nicht überleben, so viel war sicher.
Dann nichts mehr.
Er öffnete die Augen.
Er lag auf der Seite, eingehüllt in eine Decke. Er war in der Mojave-Wüste, und die Sonne ging unter. Vor ihm brannte ein kleines Feuer, und er spürte einen brennenden Schmerz zwischen den Schulterblättern. Joe Feather beugte sich über ihn. Er lächelte und sah unendlich erleichtert aus.
Er war zurück.
RÜCKKEHR NACH RENO
»Wie lange bin ich schon hier?«, fragte Jamie.
»Zwei Tage und zwei Nächte«, antwortete Joe Feather. »Und wo sind wir?«
»Südlich von Boulder City. In den Bergen. Hier findet uns niemand.«
Jamie rechnete kurz nach. Die Zeit, in der er hier bewusstlos gewesen war, entsprach genau der, die er in der anderen Welt damit zugebracht hatte, zu kämpfen und zu überleben. Er beobachtete Joe, der mit einem Stock im Lagerfeuer herumstocherte, dass die Funken flogen. Die Sonne ging unter. Bald würde die Abendkälte einsetzen, aber das Feuer war nicht dazu da, sie zu wärmen. Es diente lediglich zum Erhitzen von Wasser, zum Kochen und um ihnen etwas Licht zu spenden.
Daniel war nirgendwo zu sehen. Er schlief vermutlich schon im Tipi.
»Es gibt ein paar Dinge, die ich wissen muss«, sagte Jamie. »Bist du fit genug zum Reden?«
Vorsichtig bewegte Jamie sein Schulterblatt. In dem Augenblick, in dem er in seine eigene Welt zurückgekehrt war, war auch die Wunde wieder da gewesen. Er konnte fühlen, wo die Kugel ihn getroffen hatte. Wahrscheinlich würde er das noch nach Jahren spüren. Aber im Moment waren die Schmerzen auszuhalten.
»Wir mussten dich aufschneiden«, berichtete Joe. »Wir haben die Kugel rausgeholt und die Wunde mit Weidenrinde versorgt.« Jamie sah ihn fragend an. »Das ist ein altes Heilmittel – was auch logisch ist, denn Weidenrinde enthält Salicylsäure, und die ist ein natürliches Schmerzmittel.«
»Hast du das gemacht, Joe?«
»Nein. Ich hatte Hilfe.«
Jamie nickte. »Äh, danke…« Er würde sich ganz bestimmt nicht beschweren. In den letzten achtundvierzig Stunden hatte
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