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Schattenmacht

Schattenmacht

Titel: Schattenmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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Als wir acht waren, kamen wir zu Pflegeeltern nach Salt Lake City, und das ging eine Weile gut. Ich glaube, wir waren glücklich. Wir waren bei einem Paar, das keine eigenen Kinder haben konnte. Sie hatten ein schönes Haus, und sie waren nett zu uns… aber nach etwa zwölf Monaten hatten sie genug von uns. Derry wusste mittlerweile, was mit uns los war. Wir waren anders. Etwas Besonderes. Und das war den Menschen unheimlich. Sie wollte uns das irgendwie zu verstehen geben, doch sie hat es nicht ausgesprochen. Vielleicht dachte sie, wir würden sie auslachen.
    Es spielte aber auch keine Rolle, denn wir waren schon selbst darauf gekommen. Wir wussten, dass wir diese… Fähigkeit haben. Du bezeichnest es vielleicht als eine Kraft, aber das klingt, als würden wir Kostüme anziehen und uns in Spiderman verwandeln, und so war das nicht. Wir wussten allerdings schon während Derry es uns zu erklären versucht hat, dass wir in ihr Gehirn sehen und hören konnten, was sie dachte. Telepathie. So heißt das. Aber wir waren keine Superhelden. Wir waren Monster. Wir waren anders als alle anderen. Und deshalb haben wir nie irgendwo dazugehört.«
    »Habt ihr eure Fähigkeit jemals eingesetzt?«, fragte Alicia. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie die ganze Zeit, während Jamie gesprochen hatte, den Atem angehalten. Er war so dünn und blass, und jetzt bekam sie allmählich eine Ahnung davon, was er durchgemacht hatte.
    »Wie meinst du das?«, fragte Jamie.
    »Ich weiß nicht. Um bei einer Klassenarbeit zu schummeln. Oder um etwas herauszufinden, was ihr nicht wissen solltet.«
    »Nein!« Jamie schüttelte den Kopf. »Du verstehst nicht, wie es sich anfühlt, die Gedanken anderer Leute zu lesen. Das ist kein Spaß. Es ist, als wärst du die ganze Zeit von Geflüster umgeben. Die ganze Zeit! Kannst du dir vorstellen, im Kino zu sitzen, und die anderen Zuschauer unterhalten sich während des gesamten Films? Nun, so hat es sich für uns angefühlt. Manchmal hatten wir das Gefühl, verrückt zu werden.
    Und was die meisten Leute denken, ist meistens nicht sehr nett. Sie denken an ihre Ehefrauen oder -männer und daran, wie sie sich gestritten haben. Sie denken an die Personen, denen sie am liebsten etwas antun wollen, daran, wie wütend sie sind, wie schlecht es ihnen geht und dass es nie ihre Schuld ist. Oder sie machen sich Sorgen um Geld, ihren Arbeitsplatz, oder sie denken noch Schlimmeres. Manchmal denken sie an wirklich schreckliche und gemeine Dinge. Und deshalb haben wir unsere Fähigkeit nie eingesetzt. Wir haben genau das Gegenteil gemacht. Es war, als hätten wir uns ständig die Ohren zugehalten. Wir haben es geschafft, alle Türen zu schließen.
    Nur eine haben wir offen gelassen. Ich konnte hören, was Scott denkt, und er kann mich hören. Das hat sogar geklappt, wenn wir einen Kilometer voneinander entfernt waren. Allerdings wurde es dann schwächer… wie ein Flüstern. Aber wir hatten nie Angst, in den Kopf des anderen zu sehen, weil wir sicher sein konnten, dort keine bösen Überraschungen vorzufinden. Wir wussten, dass es sicher war. Und so wurden wir die telepathischen Zwillinge. Das hat Don White aus uns gemacht.«
    »Seid ihr als Nächstes zu ihm geschickt worden?«, wollte Alicia wissen.
    Jamie schüttelte den Kopf. »Kann ich noch was zu trinken haben?«
    »Kaffee?«
    »Cola.«
    »Einen Moment…«
    Alicia verschwand in der Küche. Glücklicherweise war der Kühlschrank ihrer Schwester voll. Alicia kam mit einer Dose Cola und einem Glas voller Eiswürfel zurück. Sie wartete, während Jamie trank. Dann setzte er das Glas ab.
    »Gedanken zu lesen war nicht alles, was wir konnten«, sagte er.
    Der Unfall. Alicia erinnerte sich, dass er ihn anfangs erwähnt hatte und vermutete, dass er nun dazu kommen würde.
    »Nach Salt Lake City kamen wir wieder nach Nevada, nach Carson City. Wir haben bei einem Paar namens Ed und Leanne gelebt. Ed hat dort im Krankenhaus gearbeitet. Er war Hausmeister. Leanne war zu Hause.
    Zu der Zeit gingen wir noch zur Schule. Wir waren zehn Jahre alt. Und wir gehörten immer noch nicht dazu. Wir haben in den meisten Fächern versagt. Einer der größeren Jungen hat uns ständig geärgert. Er hieß Ray Cavalli. Alle hatten Angst vor ihm, aber niemand traute sich, einem Lehrer Bescheid zu sagen, weil keiner eine Petze sein wollte. Eines Tages bin ich mit Cavalli aneinandergeraten, und er hat mich verprügelt. Scott wusste natürlich, was vorgeht, und tauchte plötzlich auf. Er ist

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