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Schattenmacht

Schattenmacht

Titel: Schattenmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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dass du versuchst, mir zu helfen. Aber was du von mir verlangst… du verstehst das nicht…«
    »Ich mache uns Kaffee«, sagte Alicia. »Warum setzen wir uns nicht nach draußen?«
    Zehn Minuten später saßen sie zusammen auf der Terrasse hinter dem Haus. Die Sonne war schon hinter dem Hausdach verschwunden, und sie hatten Schatten. Der kleine Garten grenzte zwar an die Gärten der Nachbarn, aber da niemand zu sehen war, fühlten die beiden sich ungestört. Nicht einmal der Straßenlärm drang zu ihnen durch.
    »Ich rede nicht gern über mich«, begann Jamie.
    Alicia sagte nichts. Sie wollte ihm Zeit lassen.
    »Scott und ich. Wir waren immer…« Jamie hob Daumen und Zeigefinger, die sich fast berührten, um zu zeigen, was er meinte. »Er ist der Klügere von uns. Er ist es, der uns aus jedem Ärger raushält. Er weiß immer, was zu tun ist. Für mich ist er mein großer Bruder, obwohl ich glaube, dass wir Zwillinge sind.«
    »Weißt du das nicht?«
    Jamie schüttelte den Kopf. »Wir wurden in der Nähe eines Ortes namens Glenbrook gefunden, der nicht weit vom Lake Tahoe liegt. Wir waren so etwas wie Babys in einem Korb, die jemand am Straßenrand ausgesetzt hat. Nur, dass es kein Korb war, sondern ein Pappkarton. Wir hatten keine Namen. Wir hatten nichts. Oder doch – und das war echt witzig. Jemand hat uns tätowiert. Wir haben beide dieselbe Tätowierung.«
    »Wo ist sie?« Alicia hatte nicht fragen wollen, aber ihre Neugier hatte gesiegt.
    »Hier.« Jamie deutete mit dem Daumen über seine Schulter. »Auf der Schulter. Es ist eine Art Spirale, durch die ein Strich gezogen ist. Es bedeutet nichts.«
    »Und wie seid ihr zu euren Namen gekommen?«
    »Man hat ihn Scott genannt, weil der Karton, in dem wir gefunden worden sind, früher einmal Scotts Grassaat enthalten hat. Ich wurde nach dem Arzt im Ort benannt, der uns als Erster untersucht hat. Sie dachten, wir hätten Indianerblut, und haben in den Reservaten herumgefragt.«
    »Ja, du siehst wirklich so aus«, bestätigte Alicia.
    »Ich werde dir nicht allzu viel über unser Leben erzählen… wie es uns ergangen ist. Das interessiert dich wahrscheinlich sowieso nicht. Aber was du wissen musst, ist alles über den Unfall. So haben wir es genannt. Aber wir haben nie darüber geredet, und ich will auch jetzt nicht darüber reden.«
    Alicia seufzte. »Vielleicht ist es einfacher, wenn du von Anfang an erzählst.«
    »Meinetwegen. Aber viel gibt es da nicht zu berichten.«
    Jamie hatte eine Tasse Kaffee vor sich stehen, sie aber nicht angerührt. Einen Augenblick lang starrte er in die Tasse, als wäre die schwarze Flüssigkeit ein Spiegel, der ihm die Vergangenheit zeigte.
    »Also gut. Man hat uns am Straßenrand ausgesetzt. Wir hatten nie eine Mutter oder einen Vater oder sonst etwas. Es stand in der Zeitung, als wir gefunden wurden. Man nannte uns die Grassamen-Babys. Dann hat sich das Jugendamt um uns gekümmert. Ich nehme an, dass wir eine Weile im Krankenhaus geblieben sind, und dann kamen wir zu Pflegeeltern. Das war irgendwo in Carson City. Da war noch ein halbes Dutzend anderer Kinder, alle mit indianischer Abstammung. Der Name der Pflegeeltern war Tyler, und wir bekamen ihren Namen, während die Polizei und das Jugendamt versuchten, unsere Eltern zu finden. Sie waren sicher, dass ihnen das gelingen würde. Schließlich hatten sie es bisher immer geschafft.
    Nur diesmal nicht. Alle waren ganz verrückt nach unseren Tätowierungen. Sie waren überzeugt, dass sie etwas zu bedeuten hatten. Wer macht sich schon die Mühe, zwei Babys zu tätowieren, die gerade mal ein paar Wochen alt sind? Sie gingen in die Reservate, fragten überall herum und haben auch eine Belohnung ausgesetzt. Aber das hat alles nichts gebracht. Am Ende haben sie die Akte geschlossen, und wir mussten damit leben.
    Aber so leicht war das nicht. Wir sind von einer Pflegefamilie in die nächste gekommen, und wir hatten ständig Streit mit anderen Kindern. Wir haben diese Streitereien nie angefangen, sie sind einfach passiert. Als wir sechs waren, wussten wir, dass es in Zukunft so weitergehen würde… Scott passte auf mich auf und ich auf ihn. Und was alle anderen betraf… die waren uns vollkommen egal…
    Ich weiß nicht mehr, in wie vielen Pflegefamilien wir waren. Das einzig Gute war, dass sie uns nie getrennt haben. Das hatten wir dieser Sozialarbeiterin zu verdanken – sie hieß Derry, und sie hat gesagt, dass es wichtig wäre, uns zusammen zu lassen. Als stünde das im Gesetz oder so.

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