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Schattenmacht

Schattenmacht

Titel: Schattenmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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konzentrierte sich auf die andere Seite der Mauer, aber da war nichts. Warum nicht? Jamie wollte nicht akzeptieren, dass Scott vielleicht doch nicht hier war. Er musste irgendwo sein. In dem geheimen Komplex jenseits der Mauer. Und es gab sicher einen Grund dafür, dass er nicht antwortete. Vielleicht schlief er gerade.
    Die nächste Stunde verging quälend langsam. Danach hatten sie wieder Unterricht, eine Stunde Sport in der Halle, Teepause. Der Tag endete im Gemeinschaftsraum mit den vier runden Tischen, wo sie Karten oder ein Brettspiel spielen durften. Es war ihnen auch erlaubt, über den Tag zu sprechen und wie er verlaufen war, aber da gab es natürlich nicht viel zu sagen. Der Aufseher, der sie beobachtete, saß vor einer ganzen Reihe von Monitoren, die verschiedene Ansichten des Flurs zeigten. In den Zellen waren keine Kameras. An diesem Abend hatte Max Koring Dienst, was bedeutete, dass das Licht Punkt zehn Uhr ausgehen würde – oder vielleicht eine Viertelstunde früher, wenn es ihm so gefiel.
    Um neun wurden sie in ihre Zellen zurückgeschickt. Sie hatten keine Schlafanzüge bekommen – dafür war es ohnehin zu heiß – , und so schliefen die Jungen in ihren Shorts. Jeder bekam eine Zahnbürste, die jedoch wieder eingesammelt und weggeschlossen wurde, bevor die Türen endgültig zugingen. Der angeschliffene Stiel einer Zahnbürste war eine tödliche Waffe, und die Aufseher wollten kein Risiko eingehen. Jamie hatte keine Uhr. Man hatte sie ihm ebenso abgenommen wie alles andere, das ihm ein Gefühl von Unabhängigkeit gegeben hätte. Nach einer Weile erloschen die Lichter in den Zellen, obwohl es noch nicht richtig dunkel war. Am Zaun standen in regelmäßigen Abständen Bogenlampen, die die ganze Nacht brannten und ihr weißes Licht durch das schmale Fenster warfen. Jamie blieb etwa eine halbe Stunde auf seiner Pritsche liegen, dann stand er auf und zog sich wieder an. Es war so weit.
    Er drückte den Rufknopf neben seiner Zellentür.
    Ein paar Minuten später hörte er einen Schlüssel im Schloss, und die Tür glitt auf. Max Koring stand da, sein Bauch hob und senkte sich, und sein Gesicht lag halb im Schatten. Er hatte das elektronische Schloss von Hand geöffnet. Und er war nicht erfreut, denn er hasste die Nachtschicht genauso wie alle anderen Aufseher. Aber von den Kindern belästigt zu werden, machte es noch schlimmer.
    »Ja?«, fragte er streng.
    »Ich möchte, dass Sie mich zu den Zellen auf der anderen Seite der Mauer bringen«, sagte Jamie.
    Der Aufseher sah ihn verdutzt an. »Tun Sie es jetzt!«, fuhr Jamie fort und schickte seine Gedanken in den Kopf des Mannes. Er wusste genau, was er tat. Es war dasselbe, was er auch mit dem Polizisten gemacht hatte, der in Marcies Haus plötzlich vor ihnen gestanden hatte.
    Max Koring rührte sich nicht.
    »Wir gehen jetzt«, sagte Jamie und gab ihm noch einen Schubs.
    »Findest du das witzig?«, knurrte Koring. »Was glaubst du, was du da tust?«
    Jamie spürte, wie langsam die Panik in ihm aufstieg. Es funktionierte nicht! Aber es musste doch klappen. »Bringen Sie mich zu meinem Bruder!«, verlangte er. Er schob mit ganzer Kraft und brannte fast ein Loch in das Gehirn des Mannes.
    Jetzt betrachtete Koring ihn, als sähe er ihn plötzlich in einem ganz anderen Licht. Er lächelte – doch ein warmes oder freundliches Lächeln war es nicht. »Du hast einen Bruder?«
    Verzweifelt versuchte Jamie eine andere Taktik. Er konnte den Mann nicht dazu bringen, ihm zu gehorchen, aber er konnte ihm wenigstens ein paar Informationen entziehen. Die Konsequenzen waren ihm mittlerweile egal. Er musste wissen, was mit Scott war, deshalb konzentrierte er sich und sprang in Korings Gedanken, so wie er es auch bei Colton Banes getan hatte.
    Es klappte nicht. Seine Kraft wirkte nicht mehr. Jamie hatte kaum genug Zeit, um diesen Schock zu verkraften, als Koring ihn auch schon packte und ihm hart ins Gesicht schlug. Die Zelle drehte sich um ihn. Jamie schmeckte Blut. Dann wurde er zurückgeworfen und krachte gegen die Pritsche.
    »Ich kann es nicht leiden, wenn meine Zeit verschwendet wird«, zischte Koring. »Und du gibst mir keine Befehle. Das solltest du wissen, auch wenn du neu hier bist. Vielleicht solltest du in Einzelhaft darüber nachdenken.«
    Zehn Minuten später kam Koring mit einem zweiten Aufseher zurück. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Sie zerrten Jamie aus seiner Zelle und schleiften ihn über den Flur. Die anderen Jungen mussten gehört haben, was

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