Schattenmacht
schwarzer Junge, der nur ein T-Shirt und Shorts trug. Er war klein für sein Alter und sehr schlank, sah aber stark und sportlich aus. Er hatte kurze lockige Haare und sehr runde dunkle Augen. Am Handgelenk, direkt über den Venen, klebte ein Pflaster. Davon abgesehen schien er unverletzt. Er war hellwach und starrte erschrocken die Figur an, die in seine Zelle gestürmt war. Jamie schob die Tür wieder zu – allerdings nicht ganz. Er richtete die Taschenlampe auf sich selbst.
»Hab keine Angst«, sagte er. »Ich bin ein Freund.«
»Scott?« Der Junge auf der Pritsche glaubte, ihn erkannt zu haben, und einen Moment lang war Jamie wie vom Donner gerührt. Aber natürlich, er hatte diese dicke Brille nicht auf. Und im Schein der Taschenlampe war es leicht, ihn mit seinem Bruder zu verwechseln, trotz seiner kurzen Haare.
»Ich bin nicht Scott. Ich bin sein Bruder…«
»Jamie!«
»Ja.« In Jamie tobten die verschiedensten Gefühle. Scott war hier gewesen. Der Junge kannte ihn. Vielleicht wusste er, wo Scott jetzt war. »Du bist Daniel… ist das richtig?«, fragte er.
»Ja, ich bin Danny.«
»Ich kenne deine Mutter. Sie sucht nach dir. Sie hat mich geschickt, um dich hier rauszuholen.«
»Du kennst meine Mum?«
Das Licht ging wieder an. Danny zuckte zusammen, als er die roten Flecken in Jamies Gesicht sah. »Du bist verletzt!«, stieß er hervor.
»Nein, keine Sorge. Das ist nicht echt.«
Jamie wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Er war in der Zelle von Daniel McGuire, im Block. Die anderen Gefangenen hämmerten immer noch an ihre Türen und schrien durcheinander. Die Lichter brannten wieder. Die Überwachungskameras liefen. Das gesamte Gefängnis war im Ausnahmezustand. Was genau hatten sie erreicht?
Auch Colton Banes hatte die Lichter angehen sehen.
Er saß in einem Jeep, der ihn von der Landebahn abgeholt hatte, nachdem er mit einer viersitzigen Cessna von Las Vegas hergeflogen war. Max Koring saß hinter dem Steuer. Er hatte sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Silent Creek war meilenweit zu sehen, und Dunkelheit in diesem Teil der Wüste war einfach undenkbar – es war fast wie ein gigantischer Zaubertrick. Noch während die beiden auf der holprigen Wüstenstraße fuhren, gingen die Lichter wieder an, und das Gefängnis tauchte aus der Dunkelheit auf.
Koring warf Banes einen kurzen Blick zu. »Stromausfall«, murmelte er. »Kommt manchmal vor, dass der Generator ausfällt.«
»Das ist doch kein Zufall.« Banes schüttelte langsam den Kopf. »Nicht heute Nacht…« Er griff in sein Jackett und holte eine Waffe heraus. »Geben Sie Gas!«, knurrte er. »Wir müssen die Wachleute alarmieren.«
Aber es war zu spät. Der Jeep war noch hundert Meter vom Haupttor entfernt, als die ersten Schüsse fielen.
DER SCHREI DES ADLERS
Sie waren aus dem Nichts gekommen, auf staubigen Pick-ups, in alten Cabrios und Jeeps. In einem alten Western wäre Silent Creek ein Fort gewesen, und sie hätten Kriegsbemalung und Federn getragen, denn sie waren alle Indianer… mindestens dreißig von ihnen, von verschiedenen Stämmen, fuhren jetzt auf den Außenzaun zu und schossen dabei mit ihren Pistolen und Gewehren.
Sie zielten auf die Bogenlampen. Eine nach der anderen zerplatzte, und es breitete sich erneut Dunkelheit aus. In den Gebäuden war es jedoch heller als vorher. Die Aufseher wussten, dass sie angegriffen wurden, und auch sie hatten Waffen. Zur gleichen Zeit war in den Wohnquartieren Alarm ausgelöst worden, und die Wachen, die nicht im Dienst waren, rannten aus den Häusern, einige von ihnen nur halb angezogen, weil sie schon geschlafen hatten.
Einer der Jeeps raste auf den Zaun zu und fuhr im letzten Augenblick eine scharfe Kurve. Auf der Ladefläche stand ein Mann, der sich an der Stange hinter der Fahrerkabine festhielt und jetzt eine selbst gemachte Granate über den Zaun warf. Sie landete im Sand, hüpfte noch ein paar Meter und explodierte dann in einem Feuerball, der ein großes Loch in den Außenzaun riss. Sofort ging eine Sirene los, die nutzlos durch die Dunkelheit heulte. Auf der anderen Seite des Komplexes zerstörte eine zweite Explosion ein weiteres Teilstück des Zauns. Jetzt raste der erste Wagen auf das Gelände zu und zerfetzte dabei die letzten paar Reihen Stacheldraht, die noch standen. Vier Männer, die in der Dunkelheit kaum zu sehen waren, sprangen heraus und nahmen Positionen rund um den Sportplatz ein. Eine weitere Explosion. Diesmal war es die Satellitenschüssel hinter dem
Weitere Kostenlose Bücher