Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
verstecken.
»Wo bist du?«, zischte er in das Handy hinein.
Er bemerkte die zwei Männer nicht, die sich ihm zügig näherten. Ein untersetzter älterer Glatzkopf mit finsteren Gesichtszügen und ein jüngerer, kräftiger, vielleicht eins neunzig groß, schwarzes Haar, südländisch wirkend. Beide trugen schwarze Anzüge – Einreiher-, hatten einen Knopf im Ohr und an ihrem Revers ein Mikro.
»Wo bist du, verdammt?«, versuchte es Dutroit ein weiteres Mal. Annette blieb ihm die Antwort schuldig.
»Hier«, tönte eine tiefe Männerstimme hinter ihm. Dutroit drehte sich um und erschrak. Sofort realisierte er, was passiert war. Annettes Handy in den falschen Händen, mit dem Gerät, mit dem sie ihn aus Sokolows Suite angerufen hatte, mit dem sie die Dokumente fotografiert hatte.
»Sicherheitsdienst«, sagte der Kleinere, der offensichtlich ranghöher war als sein stämmiger Kollege. Er war selbstsicherer und machte einen erfahreneren Eindruck.
»Wir möchten Sie bitten, mit uns mitzukommen. Machen Sie bitte kein Aufsehen.«
Der Lange griff Dutroit unter den Arm und drückte unter dem Trizeps zu. Unmissverständlich wollte er ihm klarmachen, dass er keine Chance gegen ihn hätte. Doch er kannte Dutroit nicht. Seine Reaktionen waren unter Drogeneinfluss noch besser als ohne. Jahrelanges Kampftraining hatte ihn schnell werden lassen. Er checkte die Lage, sah nur drei andere Sicherheitsleute in nicht allzu großer Nähe. Er wandte sich dem Südländer zu und wuchtete ihm das Knie zwischen die Beine.
Der Lange krümmte sich, sein überlegenes Grinsen entgleiste und machte einer schmerzverzerrten Grimasse Platz. Sein Kopf kam Dutroits Faust so nahe, dass es ihn gereizt hätte, dem Langen den Rest zu geben, doch die Flucht war wichtiger als die Befriedigung der Wut. Er brauchte seine Wut, um irgendwie aus diesem Hotel rauszukommen, ohne geschnappt zu werden. Wie das ansonsten für ihn ausgehen würde, wusste er.
Vorbei an dem untersetzten Kerl suchte er einen Weg zu entkommen. Er rannte an dem behäbigen Sicherheitsmann vorbei, stieß ihn mit dem Arm unangenehm an der Schulter und stürzte die Treppe hinauf. Mit feinem Samt ausgelegte Stufen gaben den Schuhsohlen Halt. Mit der linken Hand zog er sich an dem Messinggeländer hoch, er nahm zwei Stufen zugleich. Inzwischen war man auf ihn aufmerksam geworden: Konferenzteilnehmer wie auch Hotelangestellte. Der Portier blickte von seiner Tätigkeit hinter der Rezeption auf, konnte sich aber auf die Unruhe keinen Reim machen. Er senkte den Kopf und füllte das Formular weiter aus.
Dutroit erreichte den zweiten Stock. Hinter sich hörte er aufgeregte Rufe, Stimmen, die ins Handy oder ein Funkgerät zischten. Er kannte das Hotel in- und auswendig. Am Ende des Flures jedes Stockwerkes gab es einen Putzmittelraum, für den er sich einen Schlüssel besorgt hatte. In Gedanken war er alle Eventualitäten durchgegangen, hatte sich Fluchtwege aufgezeichnet, Schlupfwinkel ausbaldowert und gehofft, diese Kenntnisse nie anwenden zu müssen. Doch in genau so einer Situation steckte er gerade: Verzweifelt schutzsuchend. Alles, wofür er jahrelang gearbeitet hatte, schien sich in wenigen Minuten zu verflüchtigen.
Er wusste nicht, wo Annette steckte, wie es ihr ging, ob sie alles ausplaudern würde, wenn man ihr wehtun würde. Ja, verdammt, das würde sie, dachte er. Dass sie nie wieder würde reden können , wagte er nicht einmal in Erwägung zu ziehen.
Schnell erreichte er den Raum, schloss ihn auf und schlüpfte hinein, eine Sekunde, bevor seine Häscher das Stockwerk erreichten und ihn hätten sehen können. Sein Atem ging schnell und intensiv. Es rasselte in seinen Lungen.
Er hielt sich die Hand vor den Mund, während er durch den Schlitz in den Flur hineinspähte. Seine Verfolger ahnten seinen Aufenthaltsort noch nicht, sie waren aus seinem Blickfeld verschwunden, hoch in den dritten Stock. Er nutzte die Gelegenheit, zückte sein Handy und drückte auf eine Nummer, die er abgespeichert hatte. Es klingelte zähe drei, vier Mal, dann meldete sich eine Männerstimme am anderen Ende.
»Hallo?«
»Hier ist Dutroit. Ist alles angekommen?«
»Was ist los? Stimmt was nicht?«
»Ist alles angekommen, verflucht?« Dutroit lugte durch den dünnen Schlitz. Die Sicherheitsleute waren wieder in seiner Etage.
»Ja, ist es. Video, Audio und die Kopien. 40 Seiten. Oder waren es mehr?«
»Okay, nimm alles auf, den ganzen Tag, das ganze Wochenende, auch wenn ich nicht zurückkomme.
Weitere Kostenlose Bücher