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Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg S. Gustmann
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den Netzstecker auf der Hinterseite heraus und entriegelte sogar den Akku. Der Rechner war nun tot, so hoffte er inständig.
    Martins Körper sackte in sich zusammen, wie ein Ballon, dem die Luft entwich. Die Belastung wich nur allmählich von ihm. Zu viele Stresshormone jagten noch durch seine Adern. Wie ein Betrunkener, der bei Sonnenaufgang die Kneipe verließ, stolperte sein Herz und fand durch gleichmäßiges Atmen mühsam in die normale Gangart zurück. Das T-Shirt musste gewechselt werden, mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Bleich wie ein Grubenarbeiter nach Monaten ohne Sonne erhob er sich, schlurfte zur Tür und ging ins Schlafzimmer, riss die Tür zum Kleiderschrank auf und entnahm ein frisches, duftendes, reines Hemd. Eine weiße Weste, die er sich überstreifte, hinter der er sich verbergen konnte, die ihn sich unschuldig fühlen ließ.

    *

    An diesem Abend vollführte er perfekt die Kunst Freud’scher Verdrängung. Er entkorkte einen trockenen Weißwein, von dem Catherine nur ein winziges Schlückchen kostete. Sie wärmte Martin das Essen wieder auf und nahm sich selbst auch noch eine Portion. Sie aßen und schwatzten, als gäbe es keinerlei Bosheit und Schlechtigkeit auf der Welt. Der Fernseher blieb aus. Es war ihm vollkommen gleichgültig, wie der HSV spielte. Er war charmant und fürsorglich, er lachte vielleicht ein wenig zu viel, trank zu viel, war aber liebevoll wie zu seinen besten Zeiten. Was konnte sie dafür, dass er soeben die untersten Ebenen der Hölle durchschritten hatte? Er wollte sie beschützen vor den Bestien, ihr Geborgenheit geben in ihrer schönen, hellen Wohnung, ein freundliches Gelb an den Wänden, gemusterte Vorhänge. Ganz oben, im fünften Stock dem Himmel nahe, mit einem rundumlaufenden Balkon, bestückt mit palmenartigen Kübelpflanzen und einem bunten Windrad darin, einer Insel des Friedens und der immerwährenden Glückseligkeit.
    Das Gehirn ließ sich überlisten, bei Tag und im Zustand des Wachseins, nicht aber bei Nacht, wenn die Kontrolle über das Gehirn wie bei dem Angriff eines widerwärtigen Hackers an einen Unbekannten übergeben wurde. Vor diesem Moment fürchtete er sich. Es war dreiundzwanzig Uhr, als sie zu Bett gingen. Catherine schlief mit gleichmäßigen Atemzügen, hielt ihre Hand auf dem Bauch, nahm Kontakt zu ihrem Kind auf. Der Moment des Einschlafens näherte sich ihm wie eine schleichende Katze. Oder war er schon gar nicht mehr wach? Träumte er all dies nur? War er in Wirklichkeit niemals an diesem Abend fort gewesen? Gab es einen Jerome tatsächlich? Eine Kneipe? Welche Kneipe? Einen Chip in der Jeanstasche, Kinderpornos auf dem Rechner …?
    Martin erwachte schweißgebadet, wandte sich zu seinem Wecker um und stöhnte leise auf. Es war 4.30 Uhr und er schätzte, dass an Schlaf nicht mehr zu denken war. Zu intensiv waren die Träume, die ihn geweckt hatten. Er schob die Decke beiseite, ging ins Bad und warf sich kaltes Wasser ins Gesicht. Über dem Wannenrand lag ein T-Shirt von ihm, das er anstelle des durchgeschwitzten nun überstreifte. Er schlich ins Wohnzimmer und setzte sich auf die Couch. Die Welt schlief, außer ihm und vielleicht einigen Sonderlingen. Schichtarbeiter, die in einer Stunde nach Hause kamen, sich ins Bett legten und den Tag verpennen würden oder andere, die noch um die Häuser zogen und mit billigem Parfüm irgendeiner Nutte an ihrem Körper zu ihren ungeliebten Ehefrauen zurückschlichen.
    Martin horchte in die Dunkelheit hinein, nahm das erste Zwitschern der Vögel wahr und genoss die Minuten der Ruhe. Er blieb in der Finsternis sitzen, verharrte dort reglos mit angezogenen Knien und ließ die letzten fünfzehn Stunden Revue passieren. Schlimmer hätte es für ihn nicht kommen können: Von Werner herausgerissen aus seiner Lüneburger Kleinstadtidylle, nach Hamburg an einen Tatort gerufen, wo er in die bläulich-grüne Visage seines verhassten Kollegen blicken musste, der Fausthieb des Vaters des Toten auf seine Nase, der an ihn gerichtete Brief und der schwarze chinesische Chip mit Urlaubsbildern aus der Karibik, die so harmlos wirkten wie das Kaffeekränzchen seiner betagten, wohlgenährten Nachbarin. Dann nahmen die Ereignisse einen bizarren Verlauf, der Anruf eines Jerome, der alles von ihm und seiner Verlobten wusste, der darüber hinaus von der Datenkarte Kenntnis hatte und der – und bei dieser Überlegung brach frisch aufgebrühter Hass in ihm aus – die Fotos nackter Kinder auf

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