Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
nickte. »Ja, stimmt. Danke. Hartmut Kraus ist gut. Würde man ihm einen Mord zutrauen, was meinst du? Einen hinterhältigen, bestialischen Mord?«
Das Spiegelbild schüttelte den Kopf. Die Maske hielt. Er stülpte die Lippen, der Bart kitzelte unter der Nase.
»Eher nicht. Schau ihn dir doch an. Zu weich, der Typ. Friedliebend, harmoniebedürftig, konfliktscheu, gerechtigkeitsliebend. So einer mordet nicht. Im Gegenteil: Genau dafür ist er Bulle geworden, um solche Typen zu jagen.«
»Na, dann ist ja alles gut. Lass uns gehen.«
Jerome sah auf die Uhr. »Ja, es wird Zeit.«
»Vergiss dein Messer nicht!« Jerome schloss die Augen und tippte sich an die Stirn. Er wählte eine tiefe Stimme für Hartmut Kraus.
»Danke. Wo habe ich nur meine Gedanken?«
*
Der lange Zug von Trauergästen versammelte sich eine Stunde vor der Andacht auf dem Vorplatz zur aus den Zwanzigern stammenden Friedhofskapelle. Es wurde nur verhalten gesprochen, nie gewitzelt und wenn, dann nur, wenn niemand in der Nähe war, der Aufgeschnapptes hätte ausplaudern können. An die zweihundert Polizisten wurden erwartet. Das Minimum, wenn der Sohn des Polizeipräsidenten Hamburg Mitte zur letzten Ruhe gebettet wurde.
Von allen Seiten strömten uniformierte Beamte jeden Ranges durch die Eingänge, je nachdem, wo noch Parkfläche frei gewesen war.
Den evangelischen Friedhof Diebsteich, im Osten des Stadtteils Hamburg-Bahrenfeld gelegen, gab es schon seit 1868. Verkehrsgünstig gelegen und bekannt wegen seiner zauberhaften gärtnerischen Gestaltung. Die Lebenden beneideten die Toten um ihre Blumen- und Sträuchervielfalt. Verschwenderische Blütenpracht an geschwungenen Wegen, wohin das trauernde oder während der Grabrede gelangweilte Auge schweifte. Obwohl als evangelischer Friedhof in den Büchern verzeichnet, besaßen Katholiken, Lutherische und Reformierte sowie Sinti und Roma ihren eigenen Bestattungsbereich.
Im südlichen Areal befanden sich ältere Gräber. Hier ließen sich vorwiegend betuchte Geschäftsleute in entsprechenden Familiengrüften beisetzen. Gern hätte Klaus’ Vater dort einen Platz in der Erde für seinen Sohn gewählt, am liebsten gleich neben dem 1872 in Nizza verstorbenen Hamburger Kaufmann Günther Stuhlmann, doch es war nichts mehr frei. Daran änderte auch nichts sein ausgeprägtes, hell und dunkel koloriertes Beziehungsgeflecht.
Durch die Menge der Beamten streifte ein älterer Polizist mit grauem Bart und Bauchansatz wie ein Fisch zwischen seinesgleichen hindurch. Er fiel nicht sonderlich auf. Er lächelte und nickte gelegentlich, bewahrte vollkommene Contenance und war ein unbekannter Bekannter. Jemand, der geladen war oder aus freien Stücken kam, um Klaus Schöller die letzte Ehre zu erweisen.
Auch Werner Hartleib und Kommissar Martin Pohlmann waren gekommen. Sie standen abseits, in Zivil. Hartleib in geschmackvollem dunklem Anzug, Pohlmann in dunkler Jeans, Cowboystiefeln und halblangem grauem Mantel. Alles in allem eine unpassende Garderobe für den beliebten Sohn des Polizeipräsidenten. Er hatte erwogen, seine alte Uniform anzuziehen, doch er musste entsetzt feststellen, dass er auch nicht mit viel baucheinziehendem Entgegenkommen hineinpasste. Und da er sowieso als Trauergast wenig erwünscht war, schien es auch egal zu sein, was er anhatte.
Als die Zeit gekommen war, schritt man gemächlich mit allen Ehren in die Kapelle hinein. Nicht alle Anwesenden fanden Platz. Der Trauergottesdienst wurde per Lautsprecher nach außen übertragen. Die Presse versammelte sich links und rechts in den hinteren Ecken. Sie verhielten sich wie unsichtbare, lautlose Geister. Der Tote bekam kein Blitzlichtgewitter – gern hätte er es zu Lebzeiten gehabt.
Hartmut Kraus saß neben zwei beleibten Beamten und spielte seine Rolle perfekt. Nur sein Puls ging schneller als der der anderen. Verborgen in seinem getarnten Körper, nur dem geschulten Blick durch das synchrone Vorwölben der Halsschlagader offenbart.
Er sah sich in der Runde der Geladenen um. Schöller senior saß in der ersten Reihe, daneben seine abgehalfterte Gattin, den Kopf geneigt, der Körper leicht windschief. Die jüngere Geliebte, frech und dreist zwei Reihen hinter ihm, den Duft seines After Shaves noch zwischen ihren Brüsten.
Werner Hartleib und Martin Pohlmann standen schräg hinter ihm und lehnten an der Wand nahe einer Säule, hinter der sie sich zu verstecken schienen.
Dem Grabredner, einem evangelischen Pfarrer, war kein Spielraum für
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