Schattenmelodie
Ranja schaute in die Runde. Jetzt machte ich ein verwundertes Gesicht.
„Warum? Grete kann bei mir wohnen. Kira ist ausgezogen“, platzte ich heraus.
„Ich halte das nicht für die beste Lösung, Neve. Du hast zurzeit genug anderes um die Ohren.“
„Ich? Nein. Grete ist doch jetzt hier … und …“.
Ranja machte ein wissendes Gesicht.
„Neve, du solltest dich ein wenig um dich selbst kümmern.“
Ich wusste nicht, was sie meinte. Und irgendwie wusste ich doch, was sie meinte. Aber ich wollte es nicht wahrhaben.
„Nein, wieso, alles ist ab jetzt wieder wie früher!“ Meine Stimme klang quietschig.
„Nichts ist wie früher und sollte es auch nicht sein. Die Dinge bewegen sich in Kreisen, aber dabei bewegen sie sich nie rückwärts. Du bist jetzt auf einem sehr guten Weg Neve. Geh einfach weiter.“ Sie schenkte mir einen mütterlichen Blick.
Bockig lief ich in meiner Küche auf und ab. Ich wollte nicht „weitergehen“, ich wollte, dass ab jetzt alles wieder wie früher war. Ich war ein Engel. Ich wohnte in meinem Turmhaus. Ich las viele Bücher. Ich kümmerte mich um einen Neuankömmling. Und ich sorgte für leckeres Essen und ging Kleidung nach dem Geschmack meines Zöglings einkaufen.
„Alles in Ordnung?“
Janus kam die Treppe herunter. Er hatte in Kiras ehemaligem Zimmer übernachtet. Seine dunklen Locken waren zerzaust und kringelten sich in alle Richtungen. Er trug ein weißes Shirt und weiße Stoffhosen, die ihm bis zu den Waden gingen. Seine Haut hatte eine erstaunlich gesunde Farbe. Und er verströmte einen wunderbaren Duft, der mich irgendwie beim Denken behinderte und mir zeigte, dass überhaupt nichts in Ordnung war.
Ich schüttelte verneinend den Kopf und sagte: „Ja.“
Janus runzelte die Stirn.
„Nein, natürlich ist nichts in Ordnung.“ Ich nahm den Topfschwamm aus der Spüle und knetete auf ihm herum. „Grete wird nicht bei mir wohnen.“
„Warum? Weil du zu wenig zu Hause sein wirst?“
„Aber warum sollte ich denn zu wenig zu Hause …“ Ich seufzte und warf den Schwamm in die Spüle. „Ich muss los. Ich treffe mich gleich mit Sulannia am Wetterplatz 8.“
„Und du musst sicher mit Emma sprechen, wegen Grete, und mit Tom, warum du Heilig Abend nicht gekommen bist und na ja … mir weiter beim Bücher sortieren helfen“, führte Janus den Satz einfach fort.
„Ja, ja, schon gut. Ich weiß, dass ich in Berlin noch einiges zu Ende bringen muss. Aber das dauert doch alles nicht so lange, dass …“
„Heißt das, das Leben bei mir und den anderen ist nur eine Episode für dich, die es schnell abzuschließen gilt?“
Ich sah Janus an. Die Frage verwirrte mich. „Ich … was soll diese Frage?“
„Hast du eigentlich was zu trinken?“
„Oh, natürlich. Entschuldige. Ich bin eine schlechte Gastgeberin, ganz im Gegensatz zu dir. Kaffee, Tee, Rührei?“
Janus setzte sich an den Tisch. „Ich nehme alles, was du auch magst.“
„Ich nehme nichts. Ich werde wieder aufhören mit all dem, ab heute. Außerdem habe ich es eilig.“
Janus sog die Luft hörbar ein, sagte aber nichts dazu.
„Bevor du zum Wetterplatz aufbrichst, muss ich dir aber noch etwas Wichtiges sagen.“
Ich stellte Janus eine große Tasse Kaffee hin.
„Setz dich“, sagte er. „Wahrscheinlich wirst du wütend sein. Aber mir ist wichtig, dass kein Geheimnis mehr zwischen uns steht.“
Kein Geheimnis mehr zwischen uns, wie das klang. Ich bekam davon eine Gänsehaut und dachte daran, wie ich gestern noch nach Mitternacht mit Janus und den anderen unter dem Sternenregen draußen auf der Wiese getanzt hatte. Es war wunderschön gewesen. Doch als die Musik langsamer wurde und sich Pärchen bildeten, hatte ich behauptet, dass ich mal dringend wohin müsste und war dann einfach zu Kira und den anderen Studentinnen gegangen.
Kira hatte bedrückt gewirkt, weil Tim ihr fehlte. Die anderen trösteten sie: Der Tag, an dem sie ihren Abschluss hatte und wieder in die Realwelt reisen durfte – irgendwann wäre er einfach da. Janus hatte noch ein bisschen mit Marco geplaudert. Die beiden schienen sich sehr gut zu verstehen. Ich hatte ihm keine gute Nacht gewünscht und mich weggeschlichen, ohne zu wissen wieso. Ich hätte ihn doch fragen können, ob wir zusammen gehen. Aber ich hatte es nicht getan.
Ich setzte mich und sah ihn an.
„Also, ich kenne Charlie“, begann er. „Ich war es, die sie ins Haus am Wetterplatz geschickt hat, nachdem ich dich kennengelernt hatte.“
„Was?“ Ich
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