Schattenmelodie
fertig war mit meinem Verhalten. Nicht mal mehr unglücklich darüber, sondern einfach nur fertig damit.
Es ist nie zu spät, aber immer höchste Zeit , klang mir auf einmal der Lieblingssatz meiner Oma in den Ohren. Ich musste endlich meinen Kopf ausschalten. Meinen Kopf, der immer nur nachdachte und nachdachte und über allem schwebte und mit Gefühlen nichts zu tun haben wollte. Meine Güte, natürlich reichte es nicht, neue Erkenntnisse nur im Kopf zu haben!
„Charlie ist …“ begann Janus seufzend, aber weiter kam er nicht. Ich warf die blöde Teigtasche auf den Kassentisch, stolperte zwei Schritte auf ihn zu, schlang meine Arme um ihn, legte meinen Kopf an seine Brust, sog diesen köstlichen Duft ein, den er verströmte, und flüsterte: „Ich will nicht gehen.“
Im ersten Moment fühlte sich Janus steif an wie ein Laternenpfahl, aber dann legte auch er seine Arme um mich und sein Kinn auf meinen Kopf. Ich schloss die Augen. Das war genau der Platz, an den ich gehörte. Noch nie hatte ich mich so gut aufgehoben gefühlt in der Welt. Ich weiß nicht, wie viele Minuten wir so dastanden, als hätte die Welt aufgehört, sich zu drehen. Als wäre dieser Moment in irgendeinem Paralleluniversum auf ewig eingefroren, weil er so perfekt war.
„Heißt das …“, begann Janus und ich antwortete schnell: „Ja.“
Er schob mich ein wenig von sich und ich sah ihn schüchtern an. In seine Augen war das Leben zurückgekehrt. Sie leuchteten wieder und ich spürte einen Glücksstich in meinem Herzen. Aber irgendwas lag noch darin, was nicht stimmte.
„Was heißt, ja?“
Die Frage verwirrte mich und ich senkte den Blick. „Na dass …“, stotterte ich und fühlte mich unsicher. Mein Herz begann zu rasen. Ich hatte noch nie zu jemandem gesagt, ich liebe dich. Ich wollte es ja, ich wollte, dass Janus es wusste, aber gleichzeitig … Ich seufzte nur und sah ihn wieder an. Reichte das denn nicht? Konnte er es nicht an meinen Augen sehen?
Janus löste seine Umarmung und hielt mich nur noch an den Unterarmen fest. Das machte mir Angst.
„Ich … mag dich“, stieß ich hastig hervor.
„Das ist schön. Ich dich auch“, erwiderte er und ließ meine Arme los. Ich hatte das Gefühl, die Leine zu meinem Raumschiff zu verlieren und hilflos ins All hinauszugleiten.
„Nein, du verstehst das jetzt falsch“, versuchte ich mit zittriger Stimme zu erklären.
„Ich glaube, ich verstehe alles richtig.“ Janus’ Stimme klang ruhig und bestimmt. „Und es freut mich. Wirklich. Aber weißt du, ich habe nachgedacht. Letztens im Krankenhaus, immer ist da diese Distanz zwischen uns. Ich glaube, ich kann nicht mit einer Frau zusammen sein, die sich vor mir mit sieben Siegeln verschließt. Die ihr Ich, ihre Geschichte, alles, was sie ausmacht, vor mir verbirgt. So fehlt die Basis für echtes Vertrauen.“
Seine Worte trafen mich wie ein arktischer Wind, sodass ich unwillkürlich zurückwich. Er hatte verstanden, dass ich mit ihm zusammen sein wollte. Er hatte das verstanden, und er lehnte ab.
Ich kam mir vor wie ein Schwall Wasser, der auf die Straße platschte. Oh Gott, das hielt ich nicht aus! Reflexartig drehte ich mich um und rannte aus dem Antiquariat, quer über den Hof, dann ein paar Schritte links die Straße entlang, dann wieder nach rechts. Seine Worte schossen wie Nadeln durch meine Eingeweide. Janus wollte mich nicht. Er hatte mich zurückgewiesen, und es war noch viel schlimmer als die Geschichte mit dem Jungen aus meiner Schule damals.
Erst rempelte ich eine Oma an, die fast hinfiel, dann rannte ich ein Kind um, das sofort losbrüllte. Ich nahm es hoch, gab es der Mutter in den Arm und lief wieder zurück. Wo sollte ich hin? Ich wollte weg, weg von mir selbst. Aber das ging nicht. Ich wollte mich in Luft auflösen, und zwar für immer. Aber das … Nein! Das wollte ich gar nicht! Ich wollte … Ich setzte mich auf die Treppe, die zur Haustür des Nebenhauses führte. Ich musste mich erst mal beruhigen, nachdenken, die Verzweiflung runterdrücken, die mich zu ertränken drohte.
Ich hatte Janus ein Geständnis gemacht und er reagierte so kalt … Ich hatte ihm gesagt, dass ich ihn liebte, und er wollte mich nicht.
Also, ich hatte gesagt, dass ich ihn mag. Und er …
„Alles in Ordnung?“, fragte ein rundlicher Mann mit Glatze und Aktenkoffer, dem ich den Weg zur Haustür versperrte. Ich merkte, dass ich die Arme um meine angewinkelten Beine geschlungen hatte und die ganze Zeit hin und her schaukelte. Ich
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