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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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nickte, stellte zwei Krüge vor dem Zapfhahn ab und bewegte sie darunter hin und her, bis beide Biere eine perfekte Schaumkrone hatten.
    Ein Gast, der auf einem Barhocker am Tresen saß, schob ihm ein Schnapsglas hin. „Noch einen, Tomaso … bidde.“ Erst jetzt erkannte ich, dass es sich um Gretes Vater handelte. Er hatte ein Notizbuch vor sich liegen, auf dem er sich mit dem Ellbogen abstützte.
    „Hör auf, mich so zu nennen“, zischte Tomaso.
    „Schon gut. Schon gut.“
    Er mochte die Langversion seines Namens also nicht.
    „Das wäre der vierte und es ist noch nicht mal sechs.“ Toms Blick war streng.
    „Das gehdisch nichs an“, antwortete Gretes Vater. Er hatte seine Stimme bereits nicht mehr ganz unter Kontrolle.
    „Du gehst jetzt nach Hause und schreibst weiter. Hast du mich verstanden, Viktor!“
    „Das gehdisch nichs an.“
    Tom spülte das Schnapsglas, holte ein Saftglas aus dem Schrank, füllte es mit Wasser aus dem Hahn und stellte es Viktor hin. Seine Bewegungen waren sehr routiniert. Er schien die Arbeit hinter der Theke gewöhnt zu sein. Man kannte ihn hier. Auch wenn ihm der Laden vielleicht nicht gehörte, war er zumindest der Chef. Und er wirkte irgendwie cool, die Art von Mann, mit deren Innenleben ich mich sonst weniger beschäftigte, weil sie mich einschüchterten.
    Auf einmal existierten von Tom zwei Bilder in meinem Kopf: Tomaso, der Komponist, sensibel, in sich gekehrt, und Tom, der Barkeeper mit dem intensiven Blick, der keinen Widerspruch duldete. Wäre ich an Viktors Stelle gewesen, ich hätte sofort getan, was er sagte. Doch Viktor schubste das Glas weg, sodass es fast umfiel und etwas Flüssigkeit rausschwappte.
    Blitzschnell griff Tom nach Viktors Kragen und zog ihn über die Theke zu sich heran. Dann sagte er leise, fast in väterlichem Ton: „Das reicht. Du gehst jetzt. Sonst fliegst du nicht nur aus meinem Laden hier, sondern auch aus meinem Haus.“
    „Is nich dein Laden“, antwortete Viktor bockig, nahm aber das Notizbuch, rutschte ungelenk vom Hocker, bückte sich nach dem Kugelschreiber, der aus dem Buch gefallen war, und machte sich auf den Weg nach draußen.
    Es war also nicht sein Laden, aber sein Haus? Tom sollte der Besitzer von Wetterplatz 8 sein? Das kam mir doch ziemlich unwahrscheinlich vor.
    Auf einmal hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden und wandte meinen Blick zur Seite. Da saß ein großer, kräftiger Typ in einem grauen Rollkragenpullover aus grober Wolle. Seine schwarzen Locken hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden. Vor ihm lagen drei Bücher, eines davon hielt er vor sich aufgeschlagen. Aber er las nicht darin, sondern schien mich mit seinen dunklen Augen anzustarren.
    Ich tat unwillkürlich ein paar Schritte zur Seite, Richtung Tür, bereit zur Flucht – und stellte fest, dass sein Blick mir nicht folgte. Er sah zur anderen Seite des Raumes. Dort hing ein großes Ölgemälde mit einer Ostseelandschaft; Dünen, Dünengras, ein grauer Himmel und darunter blaue Wellen, die auf dem Sand ausliefen. Ich hatte wohl nur in seiner Blickachse gestanden und war erleichtert. Warum glaubte ich in letzter Zeit immer, man könne mich plötzlich sehen?
    Die reale Welt machte mich neuerdings nervös. Mit Kira hatte das angefangen. Sie war eben ein außergewöhnlicher Fall. Trotzdem beschloss ich, Grete noch einmal aufzusuchen. Und, okay, ich wollte Tom wieder spielen hören, auch wenn ich bis Mitternacht warten müsste.
    In der magischen Welt fing gerade erst der Tag an. Kira war mit ihrer Strafarbeit beschäftigt. Mir blieb also Zeit bis zum frühen Berliner Morgen. Aber zuallererst musste ich mich, wie immer, ein wenig ausruhen und meine Einkäufe vorübergehend unterbringen. Obst, Gemüse, Spaghetti, Eier, endlich die neuen Shirts für Kira und für mich ein wirklich süßes Kleid. Es war rot, was mich selbst erstaunte. Normalerweise kaufte ich nie Rot. Rot war nicht die Farbe eines Engels.
     

Kapitel 7
     
    Das romantische Eisenbett auf dem Dachboden war unberührt. Ich schob meine Einkaufstüten darunter und betrachtete die Reflektionen der Abendsonne vom Fenster gegenüber, die auf die Decke kleine Lichtflecken malte. Gerade, als ich mich setzen wollte, hörte ich Schritte im Treppenhaus. Jemand kam hierher nach oben.
    Ich schaffte es noch rechtzeitig, mich zu verwandeln. Schon schob Grete die Tür zum Dachboden auf und kam mit schlurfendem Schritt auf das Bett zu, als würde sie die gesamte Last der Welt hinter sich herziehen. Sie hob den

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