Schattenmenagerie
die Tasche. Nicht eine erwachsene
Frau.«
Er packte ein paar Steinchen in
eine kleine Plastiktüte und ließ sie in seiner Manteltasche verschwinden.
»Hm, zunächst müssen wir die Vermisstenanzeigen
durcharbeiten und gegebenenfalls ein Foto in die Zeitung bringen«, meinte Kroll
zu seinem Assistenten Hopfinger. »Das möge Frau Grell machen. Geben Sie ihr bitte
den Auftrag. Die Kollegen vom Polizeirevier sollen sich in der Nachbarschaft durchklingeln.
Vielleicht bekommen wir Zeugenaussagen. – Sie, Hopfinger, kümmern sich um den Obduktionsbericht
und lassen diese Kieselsteine im Labor untersuchen. – Ich möchte mich hier noch
ein wenig umschauen.«
Nachdem in dem kleinen Park am Mühlenteich
wieder Ruhe eingekehrt war, setzte Kroll sich auf eine nahe gelegene Bank. Nur noch
das rotweiße Plastikband der Polizeiabsperrung verriet jetzt, dass sich hier kürzlich
eine Tragödie abgespielt hatte. Friedlich spazierten ein paar Müßiggänger an ihm
vorbei. Sie achteten nicht auf den eingeknickt sitzenden Inspektor, der in seinem
etwas abgerissenen Mantel und seinen Turnschuhen, deren Schnürsenkel offen waren,
nicht gerade vorteilhaft aussah.
Und dann hielt er auch noch einen
undefinierbaren Zigarettenstummel in der nach oben gedrehten offenen Hand. So, als
würde er um ein Almosen betteln. Kroll bemerkte die misstrauischen Blicke der Passanten
nicht, so sehr war er in seine Gedanken vertieft.
Um ein Mordopfer verschwinden zu
lassen, ist das hier eigentlich nicht der geeignete Platz. Wenigstens hätte der
Täter versuchen sollen, den leblosen Körper irgendwie zu beschweren, sodass er nicht
so leicht wieder an die Oberfläche treiben würde. – Wenn es denn Mord war. Vielleicht
geschah es im Affekt, – unüberlegt, schnell. Aber dann hätten wir Spuren eines Kampfes
finden müssen, wie das eigentlich üblich ist bei heftigen Affekthandlungen.
Eine lärmende Schulklasse von der
nahegelegenen Oberschule zum Dom zog an ihm vorbei und unterbrach seine Gedanken.
Die Jugendlichen mussten zum Sportfest auf den Buniamshof. Ein Mädchen, es hätte
Krolls Nichte sein können, sprach ihn an:
»Ihre Schnürsenkel sind offen!«
Mechanisch, immer noch ein wenig
geistesabwesend, bückte er sich und knüpfte umständlich eine doppelte Schleife.
»Danke. Das wird halten, glaub ich!«,
rief er. Aber die Kinder waren längst wieder entschwunden. Und dann das Fehlen der
Schuhe und der Handtasche. Die Kollegen haben nichts dergleichen gefunden, also
muss der Täter die Sachen mitgenommen haben. – Warum? Um seine Spuren zu verwischen?
Dann hätte er die ganze Leiche fortschaffen müssen. – Vielleicht fehlte ihm dazu
die Gelegenheit oder er wurde bei seiner Tat überrascht. Schließlich ist das hier
nicht gerade ein einsamer Platz.
Er schloss die Augen und lehnte
sich auf der Bank zurück, um die dürftige Wärme der zarten Frühlingssonne zu genießen.
Wieder wanderten die Gedanken zurück an seinen Mallorcaurlaub. Aber nur für kurze
Dauer, denn sofort baute sich der Anblick des toten Grafen vor seinem inneren Auge
auf.
»Jetzt beschäftigen mich gleich
zwei ungelöste Fälle. Wenn man sich in unserem Beruf doch mal in Ruhe auf eine Sache
konzentrieren könnte!«, seufzte er.
Erst später kam er auf den Gedanken,
dass beide Fälle miteinander zu tun haben könnten.
Ein letzter Blick auf den ruhigen
See, dann machte er sich auf den Weg in Richtung Innenstadt, um auf dem Marktplatz
einen Cappuccino mit etwas Nussmarzipan zu sich zu nehmen. Seit er sich das Rauchen
abgewöhnt hatte, entwickelte er eine Sucht nach Süßem.
Kroll bog in die Musterbahn ab,
die ihn hoch zur Mühlenstraße führen sollte. Doch gleich bei einer der ersten Villen,
die noch einen direkten Zugang zum Mühlenteich hatten, war es ihm, als träfe ihn
der Schlag. Auf dem schmalen Weg zwischen Eingangspforte und Haustür lagen weiße
Kieselsteine, die genauso aussahen wie die in der Tasche der Toten. Rasch bückte
er sich, sammelte ein paar davon auf und ließ sie in seine Tasche gleiten. Ein Passant
beobachtete ihn dabei und brummte mürrisch irgend- etwas von »Frechheit! Kieselsteine
klauen! Jetzt auch schon die Erwachsenen! Kriminell! Man sollte die Polizei rufen!«
Der Inspektor hatte keine Lust auf
umständliche Erklärungen und verdrückte sich vom Tatort so schnell er konnte.
Kapitel 9: Prinzessinnen
Geschichtsunterricht bei Herrn Wieland. Langweilig, einfach nur entsetzlich
langweilig. Leben im Mittelalter, Lübeck, die Hanse … Das
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