Schattenmenagerie
Auch soll
er Geige spielen. Ich werde ihm zu Diensten sein. – Vielleicht ist er ja doch eine
gute Partie für mich, auch wenn es für einen Jungen schon ungewöhnlich ist, mit
Puppen und Zinnsoldaten zu spielen.
Wie beneide ich ihn! Ist er doch
reich und gebildet. Ich bin nur ein einfaches Kind aus dem verarmten Landadel. –
Er wird mich erdrücken, sollte ich seine Ehefrau werden. – Ich fürchte, ich muss
mir da einiges einfallen lassen.
Mutter sagte, er würde später mal
König von Schweden werden, – oder gar Zar von Russland. Als seine Gattin käme ich
dann als Märchenprinzessin groß raus.
Vielleicht werde ich ja sogar selbst
Zarin von Russland … – Aber dann wäre er mir im Wege …
*
»Michaela! – Was ist, träumst du? Wer war der Gründer Lübecks?«
Micha erwachte brutal aus ihren
Träumen. Ihre Nachbarin Ricki knuffte sie in die Seite.
»Katharina die Große.«
Betretenes Schweigen im Klassenzimmer.
»Was für ein Unsinn! Du träumst
ja. – Deine Leistungen in Geschichte werden immer schlechter, Michaela. Wenn das
so weitergeht, reicht’s nicht einmal für ein Mangelhaft!«
Was wissen Geschichtslehrer schon
von den Träumen einer 13-Jährigen?
Kapitel 10: Erste Spuren
Im Büro der Regionalen Kriminalbehörde brodelte es. Ansonsten stiller
Ort kühler kriminalistischer Reflexion, war es heute eine Teufelsküche. Alle redeten
durcheinander, telefonierten gleichzeitig und schütteten sich gegenseitig den schlechten
Kaffee aus den billigen Pappbechern auf die Hosen. Laborangestellte, Kuriere und
Postboten drückten sich gegenseitig die Türklinken in die Hände.
Hopfinger gestikulierte mit hochrotem
Kopf. Frau Grell floss der Schweiß von der Stirn und ruinierte ihr sorgfältiges
Make-up. Mittendrin saß Inspektor Kroll mit seinem zerknitterten T-Shirt ›I have
a dream‹ und versuchte vergeblich, kühlen Kopf zu bewahren.
Die Neuigkeiten überschlugen sich
förmlich. Kroll führte akribisch Tagebuch.
Dienstag,
3.4., 17 Uhr
Dorndorfs Bericht aus Eutin erhalten.
Nikolaus Romanowsky lebt seit der
Wende in Eutin. Alter: 49. Ledig, ohne Familienangehörige. Voriger Wohnort: Leipzig.
Deutsche Papiere. Herkunft Polen. Soll fließend Russisch sprechen können. Bewarb
sich um die Pacht der Fasaneninsel. Tat sich während der Restauration des Schlosses
als Spezialist für die Ausgestaltung der herrschaftlichen Räume hervor. Wurde in
den Stiftungsrat als Kenner der herzöglichen Geschichte einberufen. Genießt dort
einen ausgezeichneten Ruf. Wird als Nachfolger von Graf Stolberg gehandelt.
Gräfin Barbara von Bülow, geborene
von Berg. Kam 1996 durch Heirat auf das gräfliche Gut Uklei. Ihr Mann verstarb kurz
nach der Hochzeit. Kinderlos. Alter: 35. Voriger Wohnort: Lübeck. Machte sich als
Pferdezüchterin einen Namen. Wohlhabend. Umfangreiche Besitzungen rund um den Ukleisee.
Unter anderem gehört ihr auch das Jagdschloss Uklei, das sie nach einem Brand aufwendig
restaurieren ließ. Aktiv als Aufsichtsrätin bei den Eutiner Festwochen und Mäzenin
des Schleswig-Holstein-Musikfestivals und anderer kultureller Ereignisse.
Luciano Diabelli arbeitet seit fünf
Jahren als Schlossverwalter. Er bewarb sich auf Grund einer Stellenausschreibung
des Stiftungsrats. Rumäne italienischer Herkunft. Legte ausgezeichnete Zeugnisse
eines Schlossherrn aus den Karpaten vor. Arbeitet zur vollsten Zufriedenheit des
Stiftungsrats. Alter wahrscheinlich über 50. Lebt völlig zurückgezogen in der Verwalterwohnung
im Schloss. Pflegt zu niemandem Kontakt.
Mittwoch,
4.4., 11 Uhr
Die Laboruntersuchung der Kieselsteine aus der Tasche der Toten erbrachte
den Beweis, dass sie von identischer Herkunft sind wie die vor dem Haus in der Musterbahn.
Es handelt sich um eine sehr seltene Kiesverarbeitung des wertvollen Laaser Marmors
aus Tirol. Eine Recherche bei den größten Baufirmen in Hamburg, Kiel und Lübeck
ergab, dass sie in ganz Norddeutschland in den letzten Jahren nur für das besagte
Haus ausgeliefert wurden.
Mittwoch,
4.4., 19 Uhr
Obduktionsbericht: Tod durch Vergiftung. Das Gift,
das eigentlich nur bei den Indianern am Amazonas vorkommt, musste mittels Rotwein
verabreicht worden sein. Lübecker Rotspon. Tatzeit gegen Mittag des 2. April. Der
Befund der Lungen lässt vermuten, dass die Frau etwa zehn bis zw ölf Stunden nach Eintritt des Todes in das Wasser
geworfen wurde.
Donnerstag,
5.4., 10 Uhr
Eine Durchsuchung der fraglichen Villa förderte die Schuhe und
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