Schattenmenagerie
hatte Micha schon dutzende
Male in der Grundschule gehabt. Da fand sie es noch interessant, aber jetzt, als
junge Frau, die sie sich fühlte, war das nichts mehr für sie. Sie hatte andere Interessen.
Wie das zum Beispiel am Wochenende mit Ricki und ihrem neuen Freund lief. Die hatte
schon einen festen, sie noch nicht. Unwillkürlich musste sie an Noël und Viviana
denken. Wenn sie doch auch endlich mal so ein Glück hätte.
Das Vibrieren ihres Handys riss
sie abrupt aus ihren Träumen. Eine SMS von Viviana. Als ob das Gedankenübertragung
wäre.
›Hi Micha, was machen die Midi-Dateien?
Kannst du sie mir als MMS zumailen, wenn sie fertig sind? Bin gespannt auf die Musik.
Gruß von Noël. LG Viviana.‹
Richtig, hätte ich beinah vergessen.
Werd nach der Schule gleich mal in der Musik- und Kunstschule vorbeischau’n.
Unter der Schulbank antwortete sie
Viviana: ›Hi Vivi, geht klar. Hörst von mir. Wäre jetzt gern bei euch, haben aber
Geschi. BB Micha.‹
Sie steckte
ihr Handy wieder in die Hosentasche und lehnte sich mit ihrem Schulbuch so zurück,
dass es für den Lehrer aussah, als studiere
sie fleißig das Leben im Mittelalter. Müde blätterte sie in dem Lehrbuch herum.
Da fiel ihr Blick auf eine Abbildung des Versailler Schlosses mit seinem prächtigen
Barockgarten. Sofort wanderten ihre Gedanken nach Eutin. Sie musste an die Geschichte
von Peter und Sophie, alias Katharina, denken, die ihr Onkel Micha neulich auf der
Rückfahrt erzählt hatte, und schlüpfte, vor sich hinträumend, nach und nach in die
Haut der Prinzessin. Der monotone Vortrag von Herrn Wieland hörte sich an wie das
gleichmäßige Sprudeln der Gartenfontäne in dem barocken Schloss.
*
Ich liebe diese zierlichen Gärten mit ihren bunten Kieswegen, den kunstvoll
geschnittenen Hecken und den Duft der Rosen, der überall in der Luft schwebt.
Die wunderbaren strahlendweißen
Marmorfiguren. Als wären sie solche Schauspieler, wie ich sie vor der Kathedrale
von Palma de Mallorca gesehen hatte, während meiner letzten Ferien. Die waren toll
geschminkt und kostümiert und konnten auch ganz lange still stehen. Bis man ihnen
eine Münze in den Korb legte. Dann bewegten sie sich plötzlich und schmunzelten
dich freundlich an. – Ob ich der Marmorfigur da drüben auch mal eine Münze zuwerfe?
Aber als Schlossprinzessin darf
ich so was nicht. Was würden meine Dienerinnen zu solchen Kindereien sagen?
Und das Plätschern dieses schönen
Springbrunnens. – Beruhigend.
Verdammt, dieser freche Bursche!
Muss Er mich nass spritzen? Weiß
Er nicht, wie man sich einer Prinzessin gegenüber zu verhalten hat?
Der Junge mit dem spitzen, überheblichen
Gesicht und dem lächerlichen Beinkleid lacht mich aus. In der Hand hält er eine
Marionette und eine reich verzierte Holzschachtel.
Weiß Sie nicht, dass ich hier der
Herr bin? Ich darf alles. Mir gehört alles. Ich tu alles, was mir gefällt. – Was
hat Sie eigentlich in meinem Garten zu schaffen?
Lieber Gott, ist das etwa dieser
Karl Peter Ulrich von Holstein-Gottorf, den meine Mutter als meinen zukünftigen
Gemahl auserkoren hat? – Besonders vorteilhaft ist er nicht gerade gekleidet. Und
so einen Fratz soll ich später heiraten? – Da wird nur Verstellung und Intrige helfen.
– Ich probier’s mal mit Untertänigkeit.
»Ich bitte Ihre Hoheit um Entschuldigung.
Es war nicht meine Absicht, Ihn zu inkommodieren. Meine Mutter, Ihre untertänigste
Dienerin Prinzessin Johanna Elisabeth von Anhalt-Zerbst, befahl mir, im Garten auf
Ihn zu warten.«
Der junge Herr schaut mich interessiert
und ein wenig verlegen an. Wahrscheinlich ist ihm die alberne Spritzerei mit dem
Wasser peinlich.
»Oh, ich ahnte nicht, hier die bezaubernde
Dame meines Herzens zu finden. Sie entschuldigen bitte meinen kleinen Fauxpas mit
der Fontäne. – Es ist mir eine Ehre, Sie in meinem Lustgarten begrüßen zu dürfen.
Sie macht in Ihrer Schönheit meinen erlesensten Blumen die allvollkommenste Konkurrenz.«
»Wie artig Er zu konversieren weiß.
Ich hoffe demütigst, Ihm in meiner bescheidenen Art nicht zu missfallen.«
»Mitnichten. Sie gefällt mir.« Der
Herzog von Holstein stellt seine Holzschachtel auf einen Steinsockel und öffnet
sie. Stolz erklärt er:
»Meine Zinnsoldatensammlung. Sie
ist nahezu einmalig auf der Welt. – Will Sie mir das Vergnügen machen, mit mir ein
wenig zu spielen?«
Wenn ich mir’s recht überlege, ist
er nett, schön und wohlerzogen. Man erzählt über ihn Wundergeschichten.
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