Schattenmenagerie
seinem
verwaschenen T-Shirt und den abgeschabten Bluejeans nicht so recht in die adelige
Landschaft passte.
Aber Kroll spürte gleich, dass sich
die Gastgeberin nicht durch sein Äußeres täuschen ließ. Kein geringschätziger Blick,
keine abfällige Bemerkung. Im Gegenteil. Dank ihrer guten Menschenkenntnis ahnte
sie, dass hinter der Maske ein einfühlsamer, intelligenter Kriminalbeamter steckte.
»Mein Mann lässt sich entschuldigen.
Er musste heute nach Kiel zur Sitzung des Kulturausschusses. Er lässt Ihnen ausrichten,
dass er den plötzlichen Fortgang des Grafen von Stolberg zutiefst bedauert und Ihnen
selbstverständlich jederzeit für Ihre Recherchen zur Verfügung steht. – Bitte nehmen
Sie Platz.«
»Verbindlichen Dank. Genau in dieser
Angelegenheit wollte ich ihn sprechen. – Nun, das eilt ja nicht. Ich werde es die
Tage nochmals versuchen. Einstweilen genügt es mir, mit Ihnen und Ihrem Sohn vorliebzunehmen.«
Die Herzogin zog an einer verborgenen
Klingelschnur. Sofort erschien das Dienstmädchen von vorhin. »Benachrichtigen Sie
meinen Sohn. Er möge sich bitte in den Salon bemühen.«
»Nun, gnädige Frau, wie gut kannten
Sie beziehungsweise Ihre Familie den Grafen von Stolberg?«
»Er war ein gern gesehener Gast
in unserem Hause. Mein Mann schätzte ihn als Jäger. Mich beeindruckten sein aufrichtiger
Charakter und sein soziales Engagement. Bei ihm spürte man sofort, dass er sich
seiner Verpflichtungen als Adliger bewusst war, – wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Aber sicher doch.« Kroll zog eine
Ansichtskarte hervor und zeigte sie der Dame. »Hier. Eine Postkarte aus Mallorca
an Ihren Gatten. Der Graf muss sie kurz vor seinem Tod geschrieben haben. Er kam
nicht mehr dazu, sie abzuschicken, obwohl schon eine Briefmarke klebte. – Mich interessiert
in diesem Zusammenhang: Was könnte der Graf gemeint haben mit dem Satz ›Alles klar.
Es kann losgehen‹? Etwas ungewöhnlich für einen Urlaubsgruß, finden Sie nicht auch?«
»Ja, sicher. Da haben Sie recht«,
erwiderte sie. »Aber das ist ganz einfach. Weil der Graf so gut spanisch spricht,
hatte er uns geholfen, in Port Andratx eine bescheidene Zweitwohnung und einen Liegeplatz
für unser Segelboot zu beschaffen. Wir lieben diese Gegend und planen, dort in Zukunft
öfter den Urlaub zu verbringen.«
Kroll musste unwillkürlich an seinen
eigenen abgebrochenen Urlaub denken. Auch ihm gefiel diese Gegend, jedoch für ein
Eigenheim und ein Segelboot reichte es bei ihm finanziell leider nicht. Noch dazu
mit dieser noblen Adresse.
»Und was den lakonischen Stil betrifft:
Das war üblich zwischen dem Grafen und uns. Wir brauchten nicht viel Worte, um uns
zu verstehen.«
»Hatten Sie denn auch ein enges
persönliches Verhältnis zueinander?«
»Im Grunde genommen nein. Wir duzten
uns nicht. Wir respektierten uns gegenseitig, gerade auch, was den Erhalt des Eutiner
Schlosses anging. Graf Stolberg war es, der uns seinerzeit auf das Modell mit der
Landesstiftung aufmerksam machte und der viel zu seinem Gelingen beitrug. – Natürlich
fiel es uns zunächst nicht leicht, uns von dem Schloss zu trennen. Aber so war es
sicherlich für alle Seiten die beste Lösung. Und heute sind wir stolz, unseren Teil
für den Erhalt der schönen Anlage beigesteuert zu haben.«
»Wissen Sie zufällig, ob der Graf
Neider, Konkurrenten oder Widersacher hatte?«
»Ich verstehe Ihre Frage nicht ganz.
Wollen Sie andeuten, dass sein Tod kein Unfall war?«
»Wir sind verpflichtet, allen Möglichkeiten
nachzugehen. Dazu gehört auch die Frage, ob jemand Interesse an seinem Tod gehabt
haben könnte.«
»Das kann ich mir bei bestem Willen
nicht vorstellen. Er war ein absolut integrer Charakter, nie auf seinen privaten
Vorteil bedacht.« Die Herzogin hielt einen Augenblick inne und spielte nachdenklich
mit ihrer Halskette, einem wertvollen, alten Familienstück.
»Sie nehmen doch wohl nicht an,
mein Mann und ich würden in dem Grafen jemanden sehen, der uns unser Familienerbe
zerstückelt hat? Und wir hätten Rachegedanken? – Das ist absurd. Im Gegenteil, er
hat uns mit seiner Idee bei der Konsolidierung unseres Besitzes entscheidend geholfen,
und wir sind – ich meine, wir waren ihm dafür zutiefst dankbar.«
»Entschuldigen Sie bitte, in diese
Richtung zielte meine Frage nicht. Ich hätte eher angenommen, in der Familie des
Grafen gäbe es Erbstreitigkeiten.«
»Davon ist uns absolut nichts bekannt«,
lautete die kühle Antwort. »Da müssten Sie anderweitig
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