Schattenmenagerie
Liebhaber unserer Caoba, diesem Wildfang,
kann ich ihn mir nicht vorstellen.«
Seine Frau hatte sich inzwischen
gefasst und ergänzte:
»Und dann ist noch das mit … – ich
meine, sie ist – wie soll ich sagen? – Sie ist – behindert.«
Der Inspektor horchte auf.
»Ja«, fuhr ihr Mann fort. »Sie kann
nicht sprechen. Sie ist stumm. – Der Psychologe erklärte uns, dass das mit dem schrecklichen
Erlebnis in der Brandnacht zu tun haben muss. – Sie müssen wissen, Caoba konnte
damals zwar aus dem Flammenmeer gerettet werden, aber ihr Vater, ein schwarzer Kubaner,
kam ums Leben. Man identifizierte später seine Leiche. Von ihrer Mutter fehlt jede
Spur. Die Polizei ging davon aus, dass sie bis zur Unkenntlichkeit verbrannt ist.«
Den beiden Kriebgans standen die
Tränen in den Augen. Zur Beruhigung schütteten sie einen großen Schluck Schnaps
hinunter. Kroll versuchte, die angespannte Atmosphäre zu glätten.
»Und wenn ich recht verstanden habe,
nahmen Sie sich des Kindes an. Wie alt war es denn seinerzeit?«
Die Frau griff die Unterbrechung
dankbar auf. »Da alle Unterlagen mit verbrannt wurden und wir niemanden hatten,
den wir befragen konnten, nehmen wir an, dass die Kleine so ungefähr ein Jahr alt
war. – Wir nannten sie Caoba. Das ist das spanische Wort für mahagonibraun. Ihre
Hautfarbe war so – wie soll ich sagen – so zartdunkel, nicht schwarz. Wir glauben,
dass ihre Mutter eine Weiße war.«
Ihr Mann fuhr fort. »Wir sind mit
dem kleinen Wurm, um dessen Vormundschaft wir uns mit Hilfe des Grafen von Stolberg
bemüht hatten, dann hierher nach Eutin gezogen, wo wir uns beiden und der kleinen
Caoba ein neues Heim schaffen konnten. – Wir bereuen unseren Entschluss nicht. Im
Gegenteil. Wir fühlen uns hier wohl. – Und wir hoffen, dass die Angelegenheit mit
dem jungen Herzog zu Caobas Gunsten ausgeht. – Wir würden ihr das bisschen Glück
von ganzem Herzen wünschen.«
»Sie müssen sich keine Sorgen machen,
nur weil ich hier in der Funktion eines Kriminalbeamten meine Routineuntersuchungen
machen muss. – Ich kann Ihnen versichern, dass ich Ihre Tochter in keiner Weise
verdächtige. Mir geht es einzig darum aufzuklären, warum der Graf Stolberg tödlich
verunglückt ist.«
»Vielen Dank für Ihr Vertrauen.
– Sie müssen wissen, wir sind einfache Leute. Wir kennen uns in Ihrer Arbeit nicht
aus. – Wir wären nur froh, wenn Caoba – und natürlich wir beide auch – nicht in
diesen Strudel hineingezogen würden.«
»Ich versuche mein Bestes. Aber
ich bin verpflichtet, meinen Spuren nachzugehen. – Wenn Ihnen irgendetwas in Zusammenhang
mit den Ereignissen noch einfallen sollte, oder wenn Sie diesbezüglich etwas erfahren
sollten, rufen Sie bitte mich oder meinen Kollegen Dorndorf bei der Eutiner Polizeidienststelle
an.«
Kroll notierte die Telefonnummern
auf einem Zettel, leerte sein Schnapsglas und verabschiedete sich. Frau Kriebgans
steckte ihm vor der Tür heimlich ein Glas Honig in die Tasche.
»Wegzehrung. Muss mein Mann nicht
merken. Können Sie ja mal Ihren Kollegen zur Probe anbieten.«
»Oh, vielen Dank. Und danke auch
für den guten Tropfen. Ich werde beides weiterempfehlen.« Dann machte er sich auf
den Weg, um seine Nichte abzuholen.
Kapitel 13: Am Ukleisee
Viviana und Micha saßen auf einer Parkbank gleich am Eingang des Eutiner
Schlossgartens. Von Weitem grüßte das alte Schloss mit seiner rotbraunen Backsteinfassade
durch die Parkbäume hindurch. Für Micha ein inzwischen vertrauter Anblick.
»Vielen Dank für die Midi-Files.
Ich freu mich schon auf die Musik, auch wenn das Einstudieren noch ein hartes Stück
Arbeit wird. Und außerdem ist sie ja noch unvollendet. Ich werde sie zu Ende führen.
Du wirst schon seh’n.«
»Sag mal, bist du schon immer …
– Ich meine, fehlt dir das Augenlicht von Geburt an?«
»Du kannst das Wort ›blind‹ ruhig
aussprechen. Es ist keine Beleidigung. Beleidigend finde ich nur, wenn die Leute
mich deswegen mit ihrem scheinheiligen Mitleid umsülzen, mich als Zirkusnummer abstempeln.
– Nein, blind bin ich nicht von Anfang an. Meinen Vater habe ich nie kennengelernt,
er verschwand gleich nach meiner Geburt und verstarb kurz darauf. Meiner Mutter
ging es ziemlich dreckig. Sie war alles andere als reich. Aber sie ermöglichte mir
schon als Kleinkind eine gute musikalische Erziehung. Und sie opferte ihr ganzes
Leben, nur um mich als Musikerin voranzubringen. Als ich zehn war, verstarb auch
sie plötzlich. Bei ihrer
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