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Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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Baumkrone die umgebenden Bäume. Einige
ihrer Äste waren dicker als die Stämme der schlanken Buchen.
    Und ihre Einzigartigkeit
bestand nicht nur in ihrer Pracht. Seit vielen Generationen dienten ihre kopfgroßen
Astlöcher als Briefkasten für Liebespaare. Man musste auf eine klapprige Holzleiter
steigen, um an die Öffnungen heranzukommen. Inzwischen war sie so populär geworden,
dass sogar der örtliche Postbote verpflichtet wurde, die waghalsige Leiter hinaufzuklettern
und Briefe mit der Adresse ›Bräutigamseiche, Eutin‹ ordnungsgemäß zu hinterlegen.
So manche glückliche Ehe fand hier ihren Ausgangspunkt.
    Auch Caoba und
der Jungherzog hatten sich diesen Ort als Kommunikationszentrum auserwählt. Auf
Gut Altenburg war es den Dienern untersagt, Post oder Nachrichten von dem Waldmädchen
zu empfangen. Und umgekehrt war es Peter Anton unangenehm, Post in die Alte Schäferei
zu schicken. Also verabredeten die beiden Liebenden, sich mit Hilfe dieser traditionellen
Methode zu verständigen. Handys und E-Mails konnten schließlich überwacht werden.
Und außerdem – es war so schön romantisch, wie Caoba meinte.
    Bei der Eiche
angekommen, vergewisserte sie sich, dass niemand in der Nähe war. Dann erklomm sie
wendig, aber klopfenden Herzens die Leiter und langte vorsichtig in ein Astloch.
Ein paar nicht an sie adressierte Briefe kamen zum Vorschein. Sie blätterte sich
durch den Stapel Briefe. Es war für sie selbstverständlich, sie unangetastet wieder
zurückzulegen. So wie auch sie erwartete, dass man ihre Privatsphäre respektierte.
    Endlich. Das
lang ersehnte Schreiben von Peter Anton. Hastig steckte sie es in den Ausschnitt
ihrer Bluse, um es so nahe wie möglich an ihrem Herzen zu haben. Dann trat sie vorsichtig
den Rückzug an und setzte sich auf eine der rohen Holzbänke, die man rund um die
Bräutigamseiche errichtet hatte.
    Leichter Nieselregen
benetzte den Wald. Er tauchte die Lichtung um die Eiche in einen melancholischen
Schimmer. Caoba achtete nicht auf die Nässe, die inzwischen die Bank überzogen hatte.
    Sie ahnte nicht,
dass sie heimlich beobachtet wurde. In ihrer Vorfreude auf die Liebespost hatte
sie nicht bemerkt, dass kurz vor ihr ein Mann ebenfalls den Ort aufgesucht und sich
bei ihrem Nähern rasch hinter einem dichten Gestrüpp versteckt hatte.
    Romanowsky, der
Pächter der Fasaneninsel. Auch er nutzte das Liebesnest, um mit Theresa, der Zofe
der Herzogin, heimliche Botschaften auszutauschen. Offenbar musste er dabei sehr
konspirativ vorgehen. Seine Augen leuchteten zunächst ärgerlich, als er merkte,
dass er nicht allein war. Als er dann aber die Stieftochter des Waldhüters erkannte,
verzerrten sich seine Gesichtszüge zu einem neugierigen Grinsen. Genauestens musterte
er die junge Frau.
    Caoba riss ungeduldig
den Briefumschlag auf, zog einen nach edlem Duft riechenden Briefbogen mit dem Wappen
derer von Altenburg hervor. Das irritierte sie. Offizielles Briefpapier, – das kannte
sie nicht von ihrem Geliebten.
    Kaum hatte sie
die ersten Zeilen gelesen, stockte ihr der Atem. Die Hand, mit der sie den Zettel
hielt, verkrampfte, und ein fiebriges Schütteln ging durch den ganzen Körper. Plötzlich
öffneten sich ihre Augen weit, um dem anschwellenden Strom von bittersalzigen Tränen
Platz zu machen. Sie vermischten sich mit den immer dichter fallenden Regentropfen.
    Peter Anton hatte
mit ihr Schluss gemacht. Brutal und unpersönlich. Einfach so. Wegen einer besseren
Partie. Adelig, reich, gebildet, weiß, und alles andere als stumm.
    Würgend stieß
sie einen schweren Seufzer aus, sackte in sich zusammen und krümmte sich schmerzverzerrt
auf der schmutzigen Holzbank. Der Zettel flatterte verloren auf den Waldboden.
    »Er hätte es
mir persönlich sagen müssen, – mit mir sprechen, mich anhören sollen«, flüsterte
sie bitter vor sich hin. »Aber so … – Wie die Wölfe! Heimtückisch, verschlagen und
falsch. Eure Opfer zerfleischt ihr ohne Mitleid.«
    Nachdem Caoba
die Tränen ausgegangen waren, richtete sie sich langsam, aber selbstbewusst auf.
Ihr Gesicht spiegelte Trauer, Enttäuschung und Zorn gleichzeitig. Ein neuer Mensch
stand vor der Bräutigamseiche. Eine reife Frau, die entschlossen war, Kindheit und
Jugend für alle Zeiten von sich abzustreifen. Sie fühlte, wie eine innere Kälte
in ihr aufkam. Die anfängliche Glut der Verzweiflung wandelte sich in eiskalten
Stolz.
    Langsamen Schrittes
durchquerte sie die Lichtung und bog in den schmalen Pfad ein, der hinunter zu

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