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Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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einem
kleinen, aber abgrundtiefen See führte. Als sei sie völlig gefühlstaub, ließ sie
sich den Regen ungerührt ins Gesicht peitschen. Die Haare wehten ihr in nassen Büscheln
über die Stirn. Ein Beobachter hätte meinen können, eine Geistesverwirrte streife
durch die Wälder.
    Romanowsky sprang
aus seinem Versteck, hob den Brief auf und überflog ihn kurz. Das Siegel des Herzogs
erkannte er auf den ersten Blick. Er spürte, dass er Zeuge eines wichtigen Ereignisses
war. Seine niedrigen Instinkte erwachten. Er ahnte, dass sich hier eine exzellente
Gelegenheit ergab, eine Intrige zu seinen Gunsten anzubahnen. Rasch steckte er den
Zettel in die Tasche und folgte unauffällig der jungen Frau.
    Die hatte inzwischen
das Seeufer erreicht und kletterte auf eine windschiefe Uferweide. Caoba kannte
diesen Platz. Schon manches Mal hatte sie hier auf einem Ast gehockt, der sich wie
eine halbverfallene Brücke weit übers Wasser hinausneigte. Hier wusste sie sich
sicher, hier kamen Wanderer niemals vorbei. Von hier oben konnte man ungehindert
in das kristallblaue Wasser wie in einen Spiegel schauen und in aller Ruhe seinen
Gedanken nachhängen.
    Der Pächter der
Fasaneninsel kannte sich in diesem Seegebiet ebenfalls gut aus, gehörte es doch
zu seinem Fischereirevier. Er erinnerte sich, dass nicht weit von der Weide, die
Caoba bestiegen hatte, eines seiner kleinen Fischerboote versteckt im Schilfdickicht
lag. Er enterte es vorsichtig, um unnötige Wellen zu vermeiden, und beobachtete
sein Opfer.
    Caoba kletterte
heute noch weiter als sonst auf den über dem Wasser schwebenden Ast hinauf. Sie
war so in ihre Gefühle eingetaucht, dass sie überhaupt nicht an irgendeine Gefahr
dachte.
    Plötzlich krachte
es, als wäre ein Blitz eingeschlagen. Ein riesiger Teil der Weide stürzte wegen
der ungewohnten Belastung samt der jungen Frau ins Wasser. Die fiel so unglücklich,
dass ihr einer der herabpolternden Queräste auf den Kopf schlug, sodass sie sofort
das Bewusstsein verlor.
    Romanowsky begriff
schlagartig die Gefahrensituation. Schnell schnappte er sich die im Boot liegenden
Ruder und pullte mit wenigen kräftigen Schlägen zu der Stelle, an der die Frau hilflos
im Wasser trieb. Mit einiger Kraftanstrengung gelang es ihm, sie in sein Boot zu
zerren. Dann steuerte er auf einen kleinen Anlegesteg zu, vertäute den Kahn und
legte die Verunglückte vorsichtig auf die Holzbohlen.
    Der Regen hatte
inzwischen nachgelassen, und nur noch vereinzelte Tropfen bildeten feine Kreiswellen
auf dem Wasser. Im Unterholz verdampfte die Feuchtigkeit, und leichte violette Nebel
stiegen auf und verloren sich in den Baumkronen.
    Nach nur wenigen
Wiederbelebungsversuchen schlug Caoba die Augen wieder auf. Es dauerte eine Weile,
bis sie begriff, was passiert war. Hilf­los und verschüchtert blickte sie in die
graukalten Augen ihres Retters. Der zog seine Windjacke aus und breitete sie über
ihren zitternden Körper. Seine Jagdtasche diente provisorisch als Kopfkissen.
    Eine beruhigende
Wärme durchströmte die junge Frau. Jetzt gelang ihr sogar der Ansatz eines bescheidenen
Dankeslächelns.
    »Entschuldigen
Sie, dass ich Ihnen nichts Besseres bieten kann«, wandte sich der Mann in ruhigem
Ton an sie. »Hätte ich geahnt, dass Sie hier baden gehen wollen, hätte ich einen
Bademantel mit auf den Fischfang genommen.« Jetzt konnte Caoba wieder richtig lächeln.
Kleine Grübchen bildeten sich in ihren Mundwinkeln. »Aber ich konnte ja nicht ahnen,
was für einen Fisch ich hier aus dem Wasser ziehen würde.«
    Ein breites
Grinsen verzerrte sein Gesicht. »Oh, verzeihen Sie, ich habe mich noch gar nicht
vorgestellt. – Romanowsky, Pächter der Fasaneninsel und alleiniger Nutzer der Fischereirechte
in den umgebenden Gewässern.« Er legte eitel eine bedeutungsvolle Pause ein. Aber
die Frau schien das nicht unbedingt zu beeindrucken. Sie nickte stumm mit dem Kopf,
während er fortfuhr: »Und, – ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, ich weiß auch,
wer Sie sind.«
    Caobas Gesicht
zuckte nervös. »Wenn ich mich nicht täusche, sind Sie die Tochter des Wildhüters
oben in der Alten Schäferei. – Und ich weiß auch, dass Sie, – wie soll ich mich
ausdrücken? – dass Sie nicht der Sprache mächtig sind.«
    Die Frau schlug
ihre Augen nieder. Er bemerkte ihre Verlegenheit und setzte nach: »Lassen Sie nur.
Ich werde versuchen, mit Ihnen zu kommunizieren, so gut es eben geht.« Er strich
ihr die wilden, nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht und

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