Schattenmenagerie
Liebe ist das schönste Opfer, das du
mir bringen könntest. – Gut, ein letztes Mal will ich dir ein Zugeständnis machen.
Dann aber, wenn das nicht klappt, ist Schluss! – Du weißt: Endgültig Schluss. –
Mit dir!«
Wieder dieses
gemeine Lachen. Dann schlug plötzlich ein dritter Blitz in das Tal, direkt in den
Mittelpunkt des Kreises. Der Totenkopf zerfiel sofort zu Asche. An seiner Stelle
lag ein scharfes, im Mondlicht gleißend blitzendes Messer. Fast schon ein Dolch.
Ein Hirschfänger, wie es die Jäger benutzen.
»Nimm diesen
Hirschfänger und spiel ihn geschickt jener Frau zu! – Die wird schon wissen, ihn
richtig zu handhaben. – Ein Hieb muss genügen! – Wenn nicht, seid ihr beide des
Todes!«
Wieder ein Blitz.
Mit gewaltigem Donner stürzte eine schwere, verwitterte Tanne hinab ins Tal und
versperrte dem Mann unten den hinteren Fluchtweg. Ihm blieb nichts anderes übrig,
als den Dolch rasch zu greifen und die Flucht nach vorne anzutreten.
Die Gestalt auf
dem Felsvorsprung verschwand schlagartig. Sie hinterließ einen teuflisch riechenden
Klangschweif.
*
Mit aller Kraft entlockte Viviana dem Konzertflügel einen tremolierenden
doppelten Tritonus: A, Es – Ges, C. Das Teufelsintervall, der ›diabolus in musica‹.
Und das gleich zweifach!
Langsam ließ die Pianistin den scharf
dissonanten Klang auspendeln und entließ damit ihr Publikum in die Pause. Sie selbst
löste ihre Hände von der Tastatur, indem sie die Finger einzeln nach und nach von
den Tasten nahm. Die Wolfsschluchtkulisse fiel vor ihren Augen zusammen, wie ein
Filmriss auf einer großen Kinoleinwand, der den Raum in tiefe Dunkelheit stürzte.
Noël spürte, dass Viviana seine
Hilfe brauchte. Behutsam und zärtlich führte er sie langsam nach hinten in die Künstlergarderobe.
Ihr war jetzt nicht nach Smalltalk mit den Besuchern zumute.
Dort setzte
sie sich bescheiden auf einen der harten Schemel und bat Noël: »Bitte bleib bei
mir. – Nimm meine Hand und wärme sie. – Und bitte, sprich kein einziges Wort, bis
es zum zweiten Teil läutet.«
So saßen die beiden verloren in
der nüchternen, kalten Kabine. Jeder hing seinen Gedanken nach. Viviana spürte,
dass Noël sie verstanden hatte. Nicht nur ihre wenigen Worte eben. – Ihre ganze
Musik. – Noël war zu ihrem Mitwisser, zu ihrem liebsten Vertrauten geworden. – Zu
einem vertrauten Geliebten.
Kapitel 19: Intermezzo
Noch bevor das Saallicht anging und die Zuhörer mit seiner Neonfarbe
blendete, sprang Diabelli auf und verschwand lautlos. Kroll entging das nicht. Er
schielte zu Romanowsky hinüber. Der verabschiedete sich kurz angebunden von seiner
Nachbarin, der Sekretärin des Stiftungsrats, nickte unauffällig der Zofe Theresa
zu und eilte ebenfalls hinaus. Durch die offene Saaltür konnte der Inspektor beobachten,
dass beide ihre Mäntel abholten und einander eingehakt das Gebäude verließen.
Theresa hatte ihm für heute sturmfreie
Bude angeboten.
Kommissar Dorndorf unterbrach Krolls
Spähungen. »Eigentlich eine exzellente Pianistin. Schade nur, dass sie ihr Talent
an dieses kompositorische Durcheinander vergeudet. Eine klar gegliederte Klaviersonate
wäre besser gewesen, als diese romantischen Unförmigkeiten. Finden Sie nicht auch?«
Kroll wagte nicht, sich darüber
ein Urteil zu erlauben. Etwas ungeschickt lenkte er ab: »Ja, ja, die Jugend. Stürmisch
und unberechenbar. – Das hat doch auch was für sich.«
Er wandte sich ab, um sich am Büffet
ein Glas Sekt zu genehmigen. Er war nicht nur von Vivianas Können tief beeindruckt.
Ihm gefiel die Musik. Als Led-Zeppelin-Fan entsprach sie zwar nicht seinen Hörgewohnheiten.
Aber er spürte, dass die Rockband und die Wolfsschlucht-Suite etwas gemeinsam hatten:
Die tiefe Leidenschaft, die exzentrische Widersprüchlichkeit der Gefühle, die schwelgerischen
Klangfarben, das Abenteuer musikalischer Experimente. Dieser Musik, das war ihm
klar, lag etwas zugrunde, das mindestens ebenso spannend war wie seine interessantesten
Kriminalfälle.
Er beschloss, seine Nichte nach
ihrer Meinung zu fragen. Aber die war nirgendwo zu entdecken. Sie hatte sich den
Jugendlichen vom 1. FC Eutin angeschlossen und war nach draußen in den Nebel getreten.
Dort stand die Gruppe zusammen, als plante sie eine Konspiration. Ein kunstästhetischer
Vergleich zwischen Klassik und Romantik stand sicherlich nicht zur Diskussion.
Niemand von den Besuchern beachtete
sie. Nur ein paar Raucher wagten sich vor die Tür. Der Nebel
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